Empörung reicht nicht: Antidiskriminierung an Berliner Schulen
Mehrere dramatische Diskriminierungsfälle an Berliner Schulen haben im vergangenen Jahr zurecht für viel Empörung gesorgt. Dabei handelt es sich aber nicht um Einzelfälle. Es gibt zudem nicht nur Diskriminierung von Schüler*innen untereinander. Auch das Lehrpersonal ist beteiligt, insbesondere wenn es um strukturelle Diskriminierung geht. Diskriminierungserfahrungen müssen daher umfassend in den Blick genommen werden, um eine demokratische Schulkultur und ein wertschätzendes, diskriminierungskritisches Schulklima zu entwickeln.
An Berliner Schulen braucht es endlich einen nachhaltigen, strukturellen und präventiven Umgang mit Diskriminierung. Viele gute Initiativen und sinnvolle Ansätze stehen bislang unverbunden nebeneinander. Es gibt Schutz- und Beratungslücken, die wir schließen wollen. Es kann nicht sein, dass die Opfer von Diskriminierung die Schule wechseln müssen und sich an den diskriminierenden Strukturen und Praxen nichts ändert. Eine diskriminierungskritische Schulkultur ist eine zentrale Aufgabe von Leitungspersonal und Schulentwicklung.
Hier die Gesamtstrategie zum Nachlesen: 20190115_Positionspapier Gesamtkonzept gegen Diskriminierung an Berliner Schulen
Unser Gesamtkonzept gegen Diskriminierung an Berliner Schulen umfasst im Detail:
1.) Die Verankerung eines rechtlichen Diskriminierungsschutzes,
2.) klare Beschwerde- und Interventionsstrukturen in Fällen von Diskriminierung sowie
3.) verbindliche Strukturen für Prävention, Information, Beratung und Empowerment.
1) Rechtlichen Diskriminierungsschutz verankern
Um den individuellen Schutz vor Diskriminierung für den schulischen Kontext zu konkretisieren, haben wir die Regelungen im Berliner Schulgesetz erweitert.
In § 2, Absatz 1 („Recht auf Bildung und Erziehung“) wird die Nennung der Vielfaltsmerkmale geöffnet und um Diskriminierungsdimensionen wie „rassistische Zuschreibung“, „soziale Herkunft“ oder „sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität“ erweitert.
Mit dem novellierten Schulgesetz wird ein Recht auf Diskriminierungsfreiheit eingeführt und die Schulen werden verpflichtet, dieses Recht der Schüler*innen durchzusetzen.
Zusätzlich wird das Landesantidiskriminierungsgesetz eine Schutzlücke schließen, da es erstmals auf Landesebene eine gesetzliche Handhabe gegen Diskriminierung in allen Bereichen öffentlich-rechtlichen Handelns einführt und damit auch für den Schulbereich gelten wird.
2) Beschwerde- und Interventionsstrukturen bei Diskriminierungsfällen
Für einen professionellen Umgang mit Diskriminierungsfällen an Berliner Schulen braucht es klare Beschwerde- und Interventionsstrukturen. Opfer von Diskriminierung dürfen nicht allein gelassen werden. Manche der Betroffenen scheuen davor zurück, sich mit ihren Problemen an die Schulleitung oder die Schulaufsicht zu wenden. Sie müssen im Schulkontext adäquate Unterstützung finden.
Bei Diskriminierungsfällen braucht es eine klare Interventionskette. Dafür muss der Senat dem Schulpersonal konkrete Vorgaben machen. Zu diesem Zweck soll das Merkblatt zu Diskriminierung in den Berliner Notfallplänen überarbeitet werden.
Alle Schulen werden verpflichtet, in einem partizipativen Prozess eine Antidiskriminierungsstrategie zu erarbeiten und in regelmäßigen Abständen weiterzuentwickeln. Ziel ist eine wertschätzende Schulkultur. Dafür stellen wir den Schulleitungen bei Bedarf zur Entlastung externe Organisationsentwickler*innen zur Seite.
An jeder Berliner Schule braucht es eine Ansprechperson für Diskriminierung. Diese Aufgabe wird im Regelfall von der Schulleitung übernommen. Die Schulkonferenz kann aber auch im Einvernehmen mit der Schulleitung eine oder mehrere Ansprechpersonen aus dem Kreis des Lehrer*innenkollegiums benennen.
Alle gemeldeten Fälle von Diskriminierung, deren Aufklärung bzw. Sanktionierung sind von der jeweiligen Schule vertraulich zu dokumentieren sowie gegenüber der zuständigen Schulaufsicht und der Antidiskriminierungsbeauftragten der Senatsbildungsverwaltung zu berichten.
Die Stelle der Antidiskriminierungsbeauftragten bei der Senatsbildungsverwaltung wollen wir weiter stärken.
Berlin richtet zudem eine unabhängige Beschwerdestelle für Diskriminierung an Schulen ein, die sich am Status der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit orientiert. Die Beschwerdestelle ist nicht weisungsgebunden und mit jeweils einer Ombudsperson in jedem Bezirk vertreten. Sie führt unabhängige Beschwerdeverfahren durch, macht den jeweiligen Schulleitungen Handlungsvorschläge und begleitet deren Umsetzung.
3) Verbindliche Strukturen für Prävention, Information, Beratung, Empowerment
Eine demokratische Schulkultur und die Wertschätzung von Vielfalt sind die beste Prävention gegen Diskriminierung. Deshalb fordern wir:
Zu den schulischen Strategien gegen Diskriminierung gehört auch die Förderung der Wertschätzung von Vielfalt. Dabei ist die Expertise der Ansprechperson für Diskriminierung und von externen Expert*innen mit einzubeziehen. Dazu braucht es Wissensvermittlung über unterschiedliche Diskriminierungsformen und die Vermittlung von Diversitykompetenzen, etwa im Unterricht, an Projekttagen oder Schulungen. Zivilgesellschaftliche Beratungsstellen und Antidiskriminierungsprojekte sehen wir dabei als Partner*innen von Schule und wollen sie deshalb bedarfsgerecht ausstatten.
Die pädagogische Fort- und Weiterbildung im Bereich Antidiskriminierung, Intersektionalität und Diversitykompetenz soll verstärkt und mindestens für das Leitungspersonal obligatorisch werden. Aber auch in der pädagogischen Ausbildung an den Hochschulen muss eine diskriminierungs-, rassismus- und antisemitismuskritische Wissensvermittlung verankert werden.
Nach dem Vorbild der Fachstelle für Queere Bildung fordern wir die Einrichtung einer Fachstelle für Intersektionale Bildung.
Um Schüler*innen darin zu stärken, sich gegen Diskriminierung zu wehren bzw. Wertschätzung einzufordern, braucht es spezielle Angebote und Maßnahmen des Empowerments. Sie sollen gemeinsam mit (Peer-to-peer-)Projekten entwickelt werden.