Pflege neu denken – Pflege stark machen: Für eine gute pflegerische Versorgung und attraktive Arbeitsbedingungen in der Berliner Pflege
Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin, 03.11.2020 – als PDF.
Unsere Forderungen in Kürze:
- Die Weiterentwicklung von Pflegestützpunkten für gute Pflege im Kiez
- Aufbau von Planungsrechten für die Bezirke, um Pflegeberatung, -planung und -vernetzung an Bedarfen im Kiez auzusrichten
- Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle Pflege zur Vermittlung von ambulanten Pflegediensten an Pflegebedürftige
- Novellierung des Wohnteilhabegesetzes (WTG)
- Förderung von E-Mobilität in der ambulanten Pflege
- Förderung von Pflegegenossenschaften und Pflegekollektiven
- Landesförderprogramm zur Stärkung der Ausbildung und Ausbilder*innen in der Pflege
- Teilzeitausbildung für Quereinsteiger*innen und Stärkung von Qualifizierungsprogrammen für ausländische Pflegekräfte im Anerkennungsverfahren
- Teilnahme an Erasmus-Austauschprogrammen für Auszubildende erleichtern
- Landesförderprogramm zur Stärkung der Pflegewissenschaft und Akademisierung von Pflegekräften
- Leuchtturmstationen mit akademisierten Pflegekräften und Fachpflegekräften in landeseigenen Krankenhäusern
- Strategie zur Attraktivitätssteigerung der Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte in landeseigenen Krankenhäusern
- Verbindliche Personalbemessungsinstrumente in der ambulanten und stationären Langzeitpflege
- Etablierung einer Berliner Pflegekammer
Pflege wird zunehmend mehr zu einer der zentralen sozialen und gesellschaftlichen Fragen in Deutschland und auch Berlin. Es vergeht nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie kaum ein Tag, an dem nicht von Pflegenotstand, Fachkräftemangel und der Not pflegender Angehöriger berichtet wird. Die aktuelle Krise zeigt uns den Handlungsbedarf in einer Deutlichkeit wie nie zuvor. Die (Bundes-)Regierungen der letzten Jahrzehnte haben die anstehenden Aufgaben und Probleme in der Pflege nicht angepackt. Diese Untätigkeit muss ein Ende haben!
In Folge des demographischen und sozialen Wandels wird Pflege für uns alle, sei es als Pflegebedürftige, professionell Pflegende oder Angehörige, auch nach der aktuellen Pandemie als eine große Aufgabe erhalten bleiben.
Die Zahl der Pflegebedürftigen wird deutlich ansteigen, der Pflege- und Unterstützungsbedarf wird komplexer aufgrund der höheren Lebenserwartung, und der ohnehin bestehende Mangel an Fachkräften wird nicht so schnell aufzulösen sein. Die zentrale Frage ist, wie wir eine menschenwürdige Versorgung von Pflegebedürftigen als Gesellschaft gewährleisten können.
Es wird sich in den kommenden Jahren viel ändern. Eine neue Generation der Alten, die ihr Leben in weiten Teilen selbstbestimmt führen konnte, wird uns deutlich machen, wie sie sich ihr Leben im Alter aber auch im Pflegebedarf vorstellt. Die gegenwärtigen Entwürfe von Pflegeheimen oder ambulante Pflegediensten werden diesen Vorstellungen nicht mehr gerecht. Präferiert werden andere Wohnformen, wie Wohn- und Hausgemeinschaften oder Genossenschaften. Diese neue Generation wird sich selbstbestimmt gesellschaftlich einbringen und auch weiterhin aktiv am gesellschaftlichen Leben in ihren Kiezen teilhaben und mitbestimmen.
In Hinblick auf diese sich abzeichnenden Veränderungen sind wir nicht gut aufgestellt. Die bevorstehenden Aufgaben werden dazu mit Pflegepolitik allein nicht nachhaltig gelöst werden. Wir wollen deshalb Pflege neu denken und fordern eine Pflege-Offensive für alle Pflegebereiche mit einer Gesamtstrategie für Berlin unter Einbindung aller Ressorts. Es obliegt der Politik und der Gesellschaft für Pflegebedürftige die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Teilhabe an einem selbstbestimmten Leben vor Ort in den Quartieren zu schaffen.
Grüne Pflegepolitik: vor Ort, menschlich und selbstbestimmt
Wir Grüne stehen für eine am Menschen orientierte Pflegepolitik. Wir wollen, dass alle Menschen selbstbestimmt und in Würde ihr eigenes Leben gestalten können. Dafür setzen wir uns für eine Pflege ein, die die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen sowie von Pflegekräften gleichermaßen in den Mittelpunkt stellt und kämpfen hierfür im Schulterschluss mit den Pflegebedürftigen, Pflegefachkräften und pflegenden Angehörigen. Menschenwürdige Pflege muss als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge gesichert werden und darf kein Spekulationsobjekt sein, denn menschenwürdige Pflege ist zuallererst eine gemeinnützige und gesellschaftliche Aufgabe
Die bestmögliche Pflegepolitik ist die, die Pflegebedürftigkeit erst gar nicht entstehen lässt bzw. diese hinauszögert. Für uns Grüne ist daher die Verhinderung und Verzögerung von Pflegebedürftigkeit zentral, um Menschen ein Leben mit einem Höchstmaß an Selbstbestimmung und Teilhabe zu ermöglichen. Gleichzeitig ist klar: Pflegebedürftigkeit ist mit dem Erhalt der Selbstbestimmung vereinbar. Wir Grüne setzen uns für eine starke Pflege im Kiez ein. Denn hier, wo Menschen verwurzelt sind, können sie trotz Pflegebedürftigkeit ihre Selbstbestimmung und Teilhabe am besten wahren und ausleben. Die Unterstützung von pflegenden Angehörigen durch Beratungs- und Entlastungsangebote, aber auch die Sicherstellung der ambulanten Pflege und die Vernetzung der Akteur*innen im Kiez, sind daher zentrale Anliegen grüner Pflegepolitik.
Wir wollen die Lebensbedingungen Älterer in Berlin so gestalten, dass sie so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben und am gesellschaftlichen Leben im Kiez teilhaben können. Durch den Ausbau von intergenerativen Angeboten in Stadtteilzentren, Senior*innen-Einrichtungen und einer stärkeren Förderung des Ehrenamts in Bezirken beugen wir der Vereinsamung älterer Menschen vor und sorgen dafür, dass die Berliner*innen auch fit im Alter bleiben. Auch wollen wir innovative Projekte unter Einbeziehung der Betroffenen fördern, die Pflegebedürftigkeit vermeiden bzw. verzögern, indem sie ältere Menschen so lange wie möglich am gesellschaftlichen Leben teilhaben lassen. Hierfür setzen wir an den physischen und psychischen Ressourcen älterer Menschen an. Die Stimme der pflegebedürftigen Bürger*innen als Vertretung in eigener Sache fehlt. Darum wollen wir die Etablierung einer Selbstvertretung Pflegebedürftiger unterstützen.
Mit zunehmendem Alter wird der Wirkungskreis von Menschen kleiner, umso mehr kommt es in diesem Lebensabschnitt auf die wohnortnahe, gut erreichbare und passgenaue Infrastruktur, solidarische Nachbarschaften und verlässliche, interkulturell und inklusiv ausgerichtete Unterstützungs- und Hilfestrukturen an, damit wir weitgehend selbständig und selbstbestimmt im vertrauten Umfeld wohnen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist die Sicherstellung der Versorgung und Unterstützung hilfebedürftiger Menschen, denn der Anteil der über 65- und über 80-Jährigen an der Bevölkerung nimmt infolge der besseren medizinischen Versorgung und einer insgesamt längeren Lebenserwartung zu, und damit auch die der Pflegebedürftigen, insbesondere der demenziell Erkrankten.
Pflege ist inklusiv
Die vielfältige Gesellschaft bildet sich in den Strukturen des Hilfesystems nicht ab, trifft noch zu wenig auf passgenaue Angebote. Betroffene finden Zugänge nicht und können somit an den vorhandenen Möglichkeiten nicht partizipieren. Das wollen wir ändern! Ziel muss es sein, dass sich die Angebotsstrukturen an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen orientieren und weiterentwickeln.
In Berlin sind rund 120.000 Menschen pflegebedürftig. Prognosen gehen von bis zu 170.000 Pflegebedürftigen bis 2030 aus. Pflege betrifft immer mehr die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe der älteren Migrant*innen, aber auch Kinder und Jugendliche beispielsweise mit chronischen Erkrankungen, Illegalisierte, Obdachlose und Geflüchtete. Wir erwarten, dass das Pflegesystem und die Angebote inklusiver werden und sich für diese Gruppen öffnen. Die Unterstützungsstrukturen für Familien mit chronisch erkrankten und pflegebedürftigen Kindern müssen verbessert werden, um diese ohnehin belasteten Familien zu entlasten.
In Berlin werden rund ein Viertel der Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen versorgt. Die Pflege in der eigenen Wohnung ist der Wunsch der meisten Menschen, denn so leben 76 % der Pflegebedürftigen auch zu Hause und werden von ambulanten Pflegediensten und/oder Angehörigen gepflegt.
Die öffentliche Debatte beschäftigt sich fast ausschließlich mit den Problemen der stationären Einrichtungen. Dabei hat bei vielen europäischen Nachbar*innen längst ein Wandel stattgefunden. Heime werden aufgegeben und es wird auf Versorgungsformen im Kiez gesetzt. Wir fordern auch in Berlin, dass dem sozialen Wandel Rechnung getragen wird, um die Angebote und Infrastruktur den Bedürfnissen der vielfältigen Pflegebedürftigen anzupassen, alternative Wohn- und Pflegeformen auszubauen und die Versorgung im Gemeinwesen unter Beteiligung aller im Sozialraum voranzutreiben.
Novellierung des Wohnteilhabegesetzes (WTG), um Qualität zu sichern und Bewohner*innen Mitbestimmungsrechte zu sichern
Wir fordern für Menschen mit demenziellen Erkrankungen die Förderung von Wohngemeinschaften und die Schaffung zusätzlichen Wohnraums. Denn für ein gutes und langes Leben im Kiez, sind Pflege-WGs für viele Menschen mit Pflegebedarf eine gute Möglichkeit selbstbestimmt zu leben und Pflege zu erhalten. Um Qualitätsstandards zu sichern und die Mitbestimmungsrechte von Bewohner*innen der Pflege-WGs zu stärken, fordern wir eine zeitnahe Novellierung des Wohnteilhabegesetzes (WTG).
Zentrale Aspekte für uns Grüne sind die sozialräumliche Anbindung im Quartier, Anforderungen an Qualitätskonzepte und -management, Beschwerdemanagement und Schutz vor Gewalt, Beratungsleistungen vor der Eröffnung einer Pflege-WG sowie die Stärkung von Bewohner*innen-Beiräten und die Berücksichtigung von Bewohner*innen-Befragungen bei der Gestaltung und Weiterentwicklung von Pflege-WGs. Darüber hinaus müssen die Anforderungen an Anzeige- und Dokumentationspflichten, die baulichen Vorgaben und Wohnraumausstattung sowie die personelle Ausstattung aktualisiert werden. Denn Berlin ist die Hauptstadt der Pflege-Wohngemeinschaften. Jedoch kann die Nachfrage für neue WGs nicht mehr gedeckt werden, weil es an ausreichendem Wohnraum fehlt. Daher sollen auch beim Wohnungsneubau landeseigene als auch private Wohnungsunternehmen – sei es durch Vorgaben in städtebaulichen Verträgen oder in der Kooperationsvereinbarung – dazu verpflichtet werden, geeigneten Wohnraum für Wohngemeinschaften zu schaffen.
Pflege braucht Raum
Der Mietenwahnsinn auf dem Berliner Wohnungs- und Büromarkt fegt pflegebedürftige Menschen aus unserer Stadt: Die Verdrängung von Pflegeeinrichtungen, um aus diesen rentable Büro- bzw. Gewerbegebäude zu machen, wird leider kein Einzelfall bleiben, sondern ist erst der Anfang. Gleiches gilt für Pflegebedürftige, die in nicht barrierefreien Wohnanlagen faktisch gefangen sind, da Vermieter*innen auf ihren Auszug spekulieren. Und für Senior*innen, die verzweifelt WG-geeignete und bezahlbare Wohnungen suchen. Dies alles sind Vorboten einer Entwicklung in Berlin, durch die sich die Frage stellt, welchen Platz Pflegebedürftige in dieser Stadt zukünftig haben werden.
Wir wollen, dass Berlin auch den Pflegebedürftigen gehört! Dafür wollen wir die Verdrängung von Pflegebedürftigen und Pflegeeinrichtungen verhindern, neue Wohnformen, wie z.B. interkulturelle und intergenerative Wohnmodelle und Genossenschaften fördern und damit eine wohnortnahe Infrastruktur für Pflegebedürftige gewährleisten. Pflege-WGs oder andere Wohnformen sind oft mietrechtlich nicht geschützt, weil es sich um Gewerbemietverträge handelt. Wir wollen daher schon lange den Kündigungsschutz für Gewerbe verbessern und einen Mietendeckel sowie den Milieuschutz auch für das Gewerbe einführen. Zudem brauchen wir die Etablierung innovativer Wohnformen für Pflege-, Wohn- und Betreuungskonzepte sowie einheitliche Qualitätsstandards für eine gute Pflege. Wir setzen uns für den Erhalt, die Sicherung und den Ausbau der Pflege Infrastruktur in der Stadt ein, der bspw. durch die Vergabe von Grundstücken im Erbbaurecht an die Freie Wohlfahrt und der Zweckbindung in der Nutzung erfolgen soll genauso wenn möglich die Festschreibung eines Anteils dafür in Bebauungsplänen. Um hier aber auch einen Überblick über den Bedarf und die gesamtstädtische Steuerung vornehmen zu können, soll ein STEP-Pflege erstellt und in neuen Quartieren in Berlin endlich Berücksichtigung finden.
Mehr Mitsprache- und Planungsrechte für die Bezirke, um Pflegeberatung, -planung und -vernetzung an den Bedarfen im Kiez auszurichten
Prävention von Pflegebedürftigkeit, ein langes und gutes Leben in den eigenen vier Wänden, Freizeitangebote für Senior*innen, aber auch die Sicherstellung der ambulanten pflegerischen Versorgung sind Themen, die im Kiez angegangen werden müssen. Daher wollen wir den Landespflegeplan von 2016 weiterentwickeln und darin mehr Planungsrechte für unsere Bezirke verankern, um Pflegeberatung, -planung und -vernetzung besser an den Bedarfen im Kiez auszurichten. Die Probleme, Bedürfnisse und Angebotsstrukturen sind unter den Bezirken ähnlich, aber ebenso verschieden. Was die Menschen vor Ort brauchen und welche Angebote ausgebaut oder neu geschaffen werden müssen, soll im Kiez entschieden werden. Dazu soll es im Vorfeld eine wissenschaftliche Analyse geben, wie die Bezirke soziodemografisch aufgestellt sind um die Angebote bedarfsgerecht und zielgerichteter zu etablieren. Dies würde auch den Ausbau und die Weiterentwicklung der ambulanten Pflegestrukturen sowie palliativen Versorgung stärken.
Wir wollen die Bezirksämter für diese Aufgaben mit dem Einsatz von Community Health Nurses (ehemalige Gemeindeschwestern) ausrüsten. Dazu soll im Rahmen einer Zielvereinbarung Pflege zwischen Senat und Bezirken modellhaft erprobt werden, inwiefern den Bezirken Budgets zugeteilt werden können, um eigenverantwortlich die Planung und Steuerung von Versorgungsstrukturen umzusetzen.
Mit Blick auf die seit Jahrzehnten verschleppten Lösungen ist klar, dass wir neue Wege gehen müssen, da es keine schnellen Lösungen geben wird. Dazu zählt insbesondere die Erprobung neuer Ansätze wie Pflegenossenschaften und Pflegekollektive. Hierzu ist die Förderung dieser Modelle durch das Land notwendig.
Pflegestützpunkte für gute Pflege im Kiez weiterentwickeln
Tritt einmal die Pflegebedürftigkeit ein, sind viele Betroffene vom „Pflegedschungel“ überfordert und fühlen sich allein gelassen. Pflegebedürftige und pflegende Angehörige brauchen Unterstützung, Beratung und Begleitung für die Orientierung und Antragsstellung etc. Hierfür wollen wir die Pflegestützpunkte zu lebendigen, kultursensiblen und kieznahen Zentren der Beratung und Begleitung für pflegende Angehörige und ehrenamtlich Tätige ausbauen und ausstatten.
In Berlin stellen die Pflegestützpunkte eine wichtige und bereits etablierte Versorgungsstruktur dar, die pflegenden Angehörigen und Pflegebedürftigen Informationen und Beratung rund um das Thema Pflege anbieten. Dennoch profitieren noch zu wenig Betroffene von diesem Angebot. Wir Grüne wollen die Pflegestützpunkte als zentrale Schnittstelle für alles rund um die Pflege weiterentwickeln und personell im Rahmen der Zielvereinbarung Pflege bedarfsgerecht ausstatten. Pflegeinformationen und Pflegeberatung müssen in leichter Sprache für alle Berliner*innen angeboten werden.
Dieses gilt auch für die LGBTIQ- sensible Beratung. Hierzu sollen in einem PSP modellhaft die notwendigen Materialien und Beratungsansätze erarbeitet und auf alle PSP übertragen werden. Broschüren auf Deutsch, aber auch auf Türkisch, Arabisch, Russisch, Vietnamesisch, Englisch oder Französisch, müssen die fachlichen Informationen einfach aufbereitet wiedergeben. Für Menschen mit Migrationsgeschichte braucht es Brückenbauer*innen in den Pflegestützpunkten, die den sprachlichen und kulturellen Bedürfnissen der Menschen entsprechen und das Pflegesystem in Deutschland erläutern können. Dazu wollen wir analog zu den Stadtteilmüttern aufbauend auf dem Modellprojekt Brückenbauer*innen ein landesweites Programm Brückenbauer*innen Plus+ mit eigenem Berufsbild in allen Kiezen Berlins angesiedelt in den Pflegestützpunkten etablieren. Beratung muss grundsätzlich beim Einzelfall ansetzen.
Wir setzen uns dafür ein, dass in den Pflegestützpunkten das Fallmanagement/Case-Management zum Alltagsgeschäft wird. Betroffene sollen durch das System gelotst werden und nicht länger alleine den Weg zwischen Ämtern, Behörden und Anträgen finden müssen. Auch verlässliche digitale Angebote der Pflegeberatung müssen geschaffen werden. Pflegerelevante Informationen und Beratungsangebote sollen auf einer Webseite und in Form einer App bereitgestellt werden. Pflegeberatung darf nicht länger in den Komm-Strukturen verweilen, die für viele Menschen große Hürden bedeuten. Die Pflegestützpunkte müssen auf Betroffene zugehen und Unterstützung anbieten. Dies spielt gerade auch bei pflegenden Angehörigen und Pflegebedürftigen mit Migrationsgeschichte eine wichtige Rolle, um ihnen den Zugang zu Informationen und Beratung zu erleichtern.
Ebenso müssen Informations- und Beratungsangebote für pflegende Kinder und Jugendliche ausgebaut werden und eine Sensibilisierung für die Probleme und Bedürfnisse von pflegenden Kindern und Jugendlichen vorangetrieben werden. Beratungsangebote und Schulen müssen hierzu Hand in Hand arbeiten und Schüler*innen wie Lehrkräfte über die Thematik aufklären.
Um Pflegeberatung ganzheitlich aufzustellen, wollen wir die Vernetzung unter den Hilfestrukturen und deren Zusammenarbeit fördern. Neben den Pflegestützpunkten und weiteren Informations- und Beratungsangeboten sollen die Bedürfnisse pflegender Angehörige in die Angebotsstruktur einfließen und Bezirks- sowie Bürgerämter, Arbeitsagenturen, Betreuungsgerichte etc. auf die Bedürfnisse pflegender Angehöriger und Pflegebedürftiger besser eingehen können.
Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle Pflege, um die Vermittlung von ambulanten Pflegediensten an Pflegebedürftige zu erleichtern
Pflege findet in den eigenen vier Wänden statt, denn Pflegebedürftige leben zu Hause und werden von 636 ambulanten Pflegediensten, abhängigen Beschäftigten und/oder Angehörigen gepflegt. Pflegende Angehörige übernehmen einen großen Teil der Pflegearbeit. Dennoch geraten pflegende Angehörige auch an ihre Grenzen: Sei es aus zeitlichen Gründen, aufgrund der hohen körperlichen und psychischen Belastung, der Unvereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf, oder schlichtweg, weil es einer professionellen Pflegeversorgung bedarf. Ambulante Pflege stellt die Versorgung in den eigenen vier Wänden sicher und kann dazu beitragen, Angehörige zu entlasten.
Der Fachkräftemangel in der Pflege trifft die ambulante Pflege umso mehr, da hier die Pflegekräfte in der Regel schlechter entlohnt werden und die ambulanten Pflegedienste keine Pflegekräfte mehr finden, die gewillt sind unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Wir brauchen Sofortmaßnahmen, da sonst eine gute Versorgung von Pflegebedürftigen nicht mehr gewährleistet ist. Für die Pflegebedürftigen geht mit der Nicht-Versorgung die Verschlechterung ihres Gesundheitszustands einher. Die Folgen daraus sind längere Liegedauern in Kliniken, die mit Kostensteigerungen einhergehen und zu einer zusätzlichen Belastung der Krankenhäuser führen.
Einen Pflegedienst zu finden, wird für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen aber zunehmend schwieriger. Gerade in den Außenbezirken treten die Versorgungsprobleme immer wieder auf, da bei den großen Entfernungen viele Anbieter den Weg scheuen. Wir setzen uns deshalb für ein zentrales Meldesystem in Form einer Koordinierungsstelle Pflege ein, das landesweit freie Kapazitäten der Pflegeanbieter und Bedarfe Suchender auf der anderen Seite zusammenführt und matcht. Auch verlässliche digitale Angebote der Pflegeberatung müssen geschaffen werden. Pflegerelevante Informationen und Beratungsangebote sollen auf einer Webseite und in Form einer App bereitgestellt werden. Pflegedienste sollen hier ihre Echtzeit-Kapazitäten freiwillig einpflegen können, so wie es vergleichsweise auch bei Krankenhäusern mittels IVENA möglich ist. Dies soll eine schnellere und koordinierte Vermittlung von Pflegediensten ermöglichen. Auch für die Arbeit des Krankenhaus-Entlassungsmanagements könnte diese Stelle für die Sicherstellung der Anschlussversorgung hilfreich sein. Dies muss ebenso für die Versorgung von schwerkranken Kindern und Jugendlichen gelten. Die Schnittstelle zwischen stationärer palliativer Versorgung, beispielsweise in einem Hospiz und gegebenfalls einer im Anschluss stattfindenden ambulanten palliativen Versorgung muss gewährleistet sein. Auch hier kann eine zentrale Koordinierungsstelle Pflege Abhilfe leisten.
Förderung von E-Mobilität in der ambulanten Pflege
Die ambulante Pflege lebt von ihrer Mobilität, über kleinere und weitere Strecken. Wir wollen den Einsatz von E-Autos und E-(Lasten-)Fahrrädern in der ambulanten Pflege fördern. Insbesondere E-Fahrräder ermöglichen eine schnelle Fortbewegung und ersparen die Parkplatzsuche. Das Programm „Wirtschaftsnahe Elektromobilität“ des Senats soll daher auch unter den Pflegediensten bekannter gemacht werden.
Pflegende Angehörige besser unterstützen
In Berlin betreuen und versorgen rund 200.000 Berliner*innen ihre pflegebedürftigen Angehörigen. Informell Pflegende sind auch in Berlin der größte „Pflegedienst“, der einen gesellschaftlich beachtlichen Beitrag zur Pflege leistet, die öffentlichen Kassen finanziell erheblich entlastet und damit vor allem aber auch den rasch wachsenden Fachkräftemangel abfedert.
Sie leisten eine großartige Arbeit und dürfen mit der Pflege von Angehörigen nicht alleine gelassen werden! Denn darunter leidet nicht nur die Qualität der Pflege, sondern auch die pflegenden Angehörigen selbst. Psychische und physische Probleme sind oft Folgen einer jahrelangen (im Schnitt zehn Jahre) Dauerbelastung. Arbeitslosigkeit und Altersarmut sind keine seltenen Folgen – insbesondere für Frauen, die die Pflegetätigkeit zu 76% übernehmen.
Pflege ist weiblich. Pflegende Angehörige sind mit 70 % Ehefrauen, Lebensgefährtinnen, Mütter, Töchter und Schwiegertöchter. Die Nicht-Vereinbarkeit von Pflege, Beruf und Familienarbeit führt zu Doppel- oder Mehrfachbelastung. Viele werden vom „Pflegefall“ in ihren Familien überrascht und müssen von heute auf morgen die Pflege von Angehörigen übernehmen. Zu Beginn versuchen Angehörige ihre Erwerbstätigkeit noch mit einer reduzierten Arbeitszeit aufrechtzuerhalten, da nicht abzusehen ist, von welcher Dauer die Pflege sein wird. Die Reduktion der Arbeitszeit zu Beginn und die komplette Aufgabe des Jobs in den nachfolgenden Jahren – und damit eine Pflegearbeit in Vollzeit – haben erhebliche Einkommensausfälle bzw. (Alters-) Armut zur Folge. Die Pflegedauer ist nicht planbar und geht oft auch mit gesundheitlichen Folgen einher, weil sie körperlich erheblich belastend ist und pflegende Angehörige für die Pflege in der Regel nicht qualifiziert wurden und somit zum Beispiel Techniken für die eigene Entlastung nicht kennen. Hinzukommen psychische Belastungen infolge der Überforderung (familiärer und gesellschaftlicher Druck) und Einsamkeit, da sie oftmals absorbiert durch die Rund-um-die-Uhr-Pflege kaum mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben und auch den eigenen Bedürfnissen nachgehen können. Wir fordern eine geschlechtergerechte Aufteilung der Pflege und Sorgearbeit!
Die Vereinbarkeit von Pflege, Beruf und Privatleben muss gestärkt werden. Wir wollen die hessische Initiative „Beruf und Pflege vereinbaren“ auf Berlin übertragen. (http://www.berufundpflege.hessen.de/)
Gerade am Anfang brauchen pflegende Angehörige niedrigschwellige, wohnortnahe, kultursensible und aufsuchende Beratungs- und Unterstützungsangebote im Sozialraum, die sie Schritt für Schritt durch den Prozess lotsen. Gerade mit Blick auf die vielfältige Stadt sehen wir die Beteiligung von Migrant*innenorganisationen als dringend erforderlich an. Vorhandene Netzwerke und Zugänge zu Selbsthilfegruppen, aber auch Entlastungsangebote etc. sind für viele Migrant*innen nicht einfach auffindbar. Das ist auch eine Frage der Teilhabegerechtigkeit und muss besser werden.
Zu pflegenden Angehörigen zählen auch Kinder und Jugendliche, die sich zu Hause der Pflege ihrer Eltern, Geschwister oder Großeltern widmen. Das macht circa sechs Prozent aller Kinder und Jugendlichen aus. Es ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel, da Pflege immer eine erhebliche Belastung bedeutet, der Kinder und Jugendliche nicht gewachsen sind.
Aus Scham oder Loyalität ihren Familien gegenüber sprechen viele nicht darüber. Das dürfen wir als Gesellschaft nicht hinnehmen! Wir setzen uns dafür ein, dass Lehrkräfte, Pflegedienste und Ärzte vor Ort in den Schulen gezielt durch externe Projekte sensibilisiert und weitergebildet werden für die „besonderen“ Lebensbedingungen dieser Kinder und Jugendlichen. Ein besonderes Augenmerk gilt hier auch jenen, die ihre psychisch erkrankten oder suchtkranken Eltern pflegen, ihre Geschwister versorgen und die Aufgaben der Erwachsenen schultern.
Es ist unsere Aufgabe diese Kinder und Jugendlichen zu unterstützen und zu stärken. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Berlin hier mit den Familiengesundheitspfleger*innen neue Wege geht. In ihrer Funktion als Pflegende sind sie nicht nur in der Lage die Unterstützungs- und Pflegebedarfe des pflegebedürftigen Menschen zu erkennen, sondern haben alle an der Versorgung des Betroffenen Beteiligten im Blick und können entsprechende Unterstützungsangebote gezielt platzieren.
Traumjob Pflege? – Ja, klar!
Der Fachkräftemangel in der Pflege ist bereits Realität und wird auch in den kommenden Jahren eine Herausforderung bleiben. Die zentrale Frage ist, wie kann es uns in den nächsten Jahren gelingen, den Fachkräftemangel spürbar abzubauen, um die pflegerische Versorgung von Pflegebedürftigen in der eigenen Wohnung oder in stationären Einrichtungen zu gewährleisten und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte zu schaffen.
Denn der Bedarf an Pflegekräften für Berlin geht bis 2030 von einem Mehrbedarf an 21.400 Pflegekräften für den stationären und ambulanten Bereich und rund 2.000 zusätzlichen Pflegefachkräften für die Altenpflege aus.
Der Fokus muss hierfür darauf gelegt werden, die Pflegeausbildung wieder attraktiver zu machen, Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten systematisch zu fördern und die Arbeitsbedingungen so gestalten, dass Pflegekräfte wieder gerne und motiviert in ihrem Beruf arbeiten.
Pflegekräfte nehmen rund um die Uhr die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen und Patient*innen wahr und bieten Unterstützung bei körperlichen Einschränkungen und seelischen Problemen. An professionell Pflegende werden zahlreiche Anforderungen in ihrem beruflichen Alltag gestellt, d.h. sie müssen behandeln, entscheiden, zuhören und beraten, aber oftmals auch den Alltag der zu Pflegenden koordinieren. Eine anspruchsvolle Arbeit, die pflegerisch-medizinisches Expert*innenwissen und sozial-kommunikative Kompetenzen erfordert. Pflege ist mehr als „satt und sauber“ oder eine Wunde mit einem Pflaster zu versorgen. Die Begleitung von Pflegebedürftigen bei ihrer Auseinandersetzung mit akuten oder chronischen Erkrankungen, als auch die Betreuung und Beratung von Angehörigen, sind unverzichtbare Aufgaben, die von Pflegekräften geleistet werden und zur Genesung oder Linderung beitragen. Die Pflege eines Menschen ist einer der am meisten sinnstiftenden Berufe. 94 % der Pflegekräfte empfinden, dass sie einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag durch ihre Tätigkeit leisten.
Jedoch hat sich die Arbeitssituation für Pflegekräfte in den letzten Jahren zugespitzt. Zunehmender Personalmangel führt zu einer stetig anwachsenden und hohen Arbeitsverdichtung und -belastung unter der Pflegekräfte und Pflegebedürftige gleichermaßen leiden. Eine am Menschen und ihren/seinen Bedürfnissen orientierte Pflege ist so nur noch in seltenen Fällen möglich. Gepaart mit schlechter Bezahlung, mangelnden Aufstiegschancen sowie begrenzten eigenverantwortlichen Handlungskompetenzen entscheiden sich immer weniger Menschen für den Pflegeberuf. Wir Grüne wollen, dass Pflegekräfte wieder so pflegen können, wie es den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen entspricht, ihre Arbeit gut bezahlt wird und Pflegekräfte mehr Mitspracherechte und Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, um ihre Arbeit attraktiver zu machen. Politik, Arbeitgeber*innen und Pflegekräfte müssen gemeinsam Lösungen entwickeln und zügig umsetzen, sodass der Pflegeberuf ein Traumjob bleibt und nicht als Albtraumjob endet.
Landesaktionsprogramm zur Stärkung der Ausbildung und Ausbilder*innen in der Pflege
Der Grundstein für gute und professionelle Pflege wird mit der Ausbildung gelegt. Die erfolgreiche und zügige Umsetzung des Pflegeberufereformgesetzes und die Einführung der Generalistik, als auch die Steigerung von Ausbildungskapazitäten, werden alleine nicht genügen, um die Pflegeausbildung attraktiver zu gestalten. Wir fordern ein Landesaktionsprogramm zur Stärkung von Auszubildenden und Ausbildenden in der Pflege. Die Umlagefinanzierung, wie im Pflegeberufereformgesetz vorgeschrieben, ist dazu ein wichtiger Schritt. Das Land Berlin muss sicherstellen, dass die realen Ausbildungskosten gedeckt sind. Die Finanzierung der Pflegeschulen muss den wachsenden Herausforderungen Rechnung tragen. Eine Anschubfinanzierung für die Umstrukturierung der Pflegeschulen sowie die reale Kostendeckung durch die mit dem Pflegeberufereformgesetz eingeführte Pauschalfinanzierung sind hier sicherzustellen.
Berlin braucht mehr Praxisanleiter*innen, um Auszubildenden Pflegekompetenzen zu vermitteln. Mit steigenden Ausbildungskapazitäten – dabei ist insbesondere auch die einjährige Pflegehelfer*innenausbildung zu berücksichtigen – muss auch die Anzahl der Praxisanleiter*innen in den Betrieben steigen. Der Senat soll gemeinsam mit den Ausbildungsbetrieben darauf hinwirken, dass parallel zu den steigenden Ausbildungskapazitäten auch die Anzahl von Praxisanleiter*innen in den Ausbildungsbetrieben sichergestellt ist, um eine qualitativ hochwertige Ausbildung sicherzustellen. Mit der Stärkung und Erweiterung der Verbundausbildung sollen in Berlin alle kleineren Betriebe endlich selbst ihren Nachwuchs ausbilden und sich gegenseitig in der praktischen Ausbildung ergänzen können.
Teilzeitausbildung für Quereinsteiger*innen und Qualifizierungsprogramme für ausländische Pflegekräfte im Anerkennungsverfahren
Um Quereinsteiger*innen, Pflegehelfer*innen oder Absolvent*innen eines Pflegebasiskurses, die sich weiterqualifizieren möchten, den Einstieg und das erfolgreiche Abschließen der Ausbildung zu erleichtern, soll die Erprobung einer Teilzeitausbildung zur Pflegefachkraft mit den städtischen Krankenhäusern erprobt werden. Auch wollen wir hier die privaten Krankenhäuser einbinden. Dieses Ausbildungsformat soll vor allem ein Angebot an diejenigen sein, die in einem Ausbildungsverhältnis starke finanzielle Einbußen machen würden und deshalb von einer Pflegeausbildung absehen.
Die Wartezeiten für die Anerkennung von Abschlüssen, insbesondere bei Pflegeberufen, sind viel zu lang. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSO) muss ein Konzept vorlegen, wie die Prozesse bei der Anerkennung pflegerischer Berufe beschleunigt werden können. Es darf nicht mehr vorkommen, dass zugewanderte Krankenpfleger*innen eine neue Ausbildung beginnen, weil die Wartezeiten für eine Anerkennung bzw. für eine entsprechende Anpassungsqualifizierung mehr als ein Jahr betragen.
Für Pflegekräfte mit ausländischen Abschlüssen oder Vorkenntnissen in der Pflege muss – insofern sie diese benötigen – ein leichter Zugang zu Qualifizierungsmaßnahmen geschaffen werden, aber auch attraktive Einstiegsmöglichkeiten in den Pflegeberuf geschaffen werden. Dazu soll der Senat gemeinsam mit dem LAGeSO als zuständige Anerkennungsbehörde, den Pflegeschulen, den Berliner Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen und -diensten, den spezialisierten Beratungsstellen zum Einstieg in den Beruf für geflüchtete Menschen und dem IQ-Netzwerk, die bestehenden Strukturen weiterentwickeln und ausbauen sowie Kooperationen schließen. Ziel muss es sein, dass unter Wahrung der erforderlichen Qualitätsstandards, Menschen mit ausländischen Abschlüssen in Pflegeberufen schnellstmöglich im Berliner Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Die zielgerichtete Vermittlung in Sprachkurse, Ausbildung und Qualifizierungsmaßnahmen, Praktika sowie Ausbildungs- und Anstellungsverhältnisse muss dazu gewährleistet sein.
Gestuftes Landesprogramm Interkulturelle Pflege
Das Gesundheitssystem kann von Einwanderung besonders profitieren: Einerseits kann geflüchtetes und zugewandertes Fachpersonal dazu beitragen, den drohenden Pflegenotstand abzuwenden. Andererseits sind Gesundheitsversorgung und Pflege eng an die sprachlichen und kulturellen Bedürfnisse der Patient*innen und Pflegebedürftigen gebunden. Interkulturelle medizinische Teams können zu einer besseren gesundheitlichen Versorgung beitragen – gerade auch für all diejenigen Menschen, die vor langer Zeit zugewandert und hier alt geworden sind. Klar ist: die Qualitätsstandards wollen wir hochhalten, das gebietet schon allein die Patient*innensicherheit. Es braucht aber ein durchlässiges Ausbildungssystem, das mehr Zugänge in den Beruf bietet.
Für Pflegeberufe schlagen wir ein gestuftes Landesprogramm interkulturelle Pflege vor, das Geflüchtete, Migrant*innen, im Ausland angeworbene Fachkräfte und andere Interessierte in ihrer jeweiligen Lebenssituation abholt, ihre vorhandenen Kompetenzen berücksichtigt, ihnen die Begleitung und zusätzliche sprachliche und ggf. schulische Förderung bietet, die sie jeweils brauchen und ihnen ermöglicht, auf verschiedenen Stufen entweder in den Beruf einzusteigen oder eine weitere Fachausbildung anzuschließen bzw. Schulabschlüsse nachzuholen. Gute Erfahrungen mit solchen gestuften Angeboten macht bereits die Berufsfachschule „Paulo Freire“. Für ein solches durchlässiges Bildungssystem müssen mindestens die Stufen Pflegebasiskurs, Sozialassistenz, Pflegehelfer*innen- und Pflegeausbildung angeboten werden. Eine individuelle Begleitung während der Ausbildung und beim Berufseinstieg hilft Ausbildungsabbrüche zu verhindern und sichert den Ausbildungserfolg. Entsprechende Vereinbarungen mit der Ausländerbehörde, der BA und dem BAMF sollen künftig gewährleisten, dass Ausbildungsverträge bzw. Ausbildungsvorbereitung dort zuverlässig den Aufenthalt sichern.
Pflege goes Europe: Erasmus-Austauschprogramme für Auszubildende erleichtern
Was an der Universität oder Fachhochschule möglich ist, muss auch in der Ausbildung möglich gemacht werden: Lern- und Lehrerfahrungen im Ausland müssen auch in der Pflegeausbildung gefördert werden. Der Berliner Senat, die Pflegeschulen und Ausbildungsträger sowie Auszubildendenvertretung sollen gemeinsam Konzepte und Strukturen schaffen, die Pflege-Schüler*innen in der Teilnahme an Erasmus-Austauschprogrammen bestärken und sie in der Organisation des Auslandsaufenthaltes unterstützen. Dies würde auch die interkulturelle Öffnung in der Pflege zusätzlich fördern. Pflegekräfte aus dem Ausland könnten ebenfalls Einblicke in das deutsche Pflegesystem erhalten.
Landesförderprogramm zur Stärkung der Pflegewissenschaft und Akademisierung von Pflegekräften
Die Akademisierung der Pflege ist für die Attraktivität des Berufes zentral. Notwendig ist ein Landesprogramm zur Stärkung der Pflegewissenschaft und Akademisierung von Pflegekräften in Berlin. An den staatlichen Universitäten und Hochschulen müssen die Studienkapazitäten ausgebaut werden, insbesondere für Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft. Ein Masterstudiengang Pflegewissenschaften muss in Berlin als Wissenschaftsstandort eingerichtet werden. Pflegekräfte, die sich akademisch weiterbilden möchten, brauchen mehr Unterstützung. Finanzielle Hürden dürfen die Akademisierung der Pflege nicht länger erschweren. Deshalb fordern wir Grüne ein Pflege-Stipendienprogramm des Landes Berlin, das Pflegekräften unabhängig vom Alter im Studium und bei der Weiterqualifizierung zur Pflegefachkraft in Vollzeit finanzielle Unterstützung bietet, um Studiengebühren oder Lebenshaltungskosten besser abdecken zu können und damit auch den Erfolg zu sichern.
Leuchtturmstationen mit akademisierten Pflegekräften und Fachpflegekräften in landeseigenen Krankenhäusern aufbauen
Für Pflegekräfte soll der akademische Abschluss nicht länger nur der Ausstieg aus der Patient*innenpflege sein. Wir wollen die Anzahl der Pflegekräfte mit akademischen Abschluss in der Patient*innenversorgung steigern. In den landeseigenen Krankenhäusern sollen dazu Leuchtturmstationen eingeführt werden, die eine hohe Anzahl an Pflegekräften mit akademischen Abschlüssen als auch Pflegekräfte mit Fachweiterbildung aufweisen. Pflegekräfte mit akademischem Abschluss sollen während ihrer Arbeitszeit auch für wissenschaftliche Arbeit, Teilnahme und Mitarbeit an Studien sowie des Wissenstransfers an Kolleg*innen freigestellt werden. Ziel soll es sein, neue Tätigkeitsfelder und Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Hierzu gehört auch die Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten auf Pflegekräfte im Sinne der Richtlinie nach § 63 Absatz 3c SGB V – Gemeinsamer Bundesausschuss.
Gemeinsam mit landeseigenen Krankenhäusern Strategien für attraktive Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte entwickeln
Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen sich jedoch grundlegend neu ausrichten, um das Interesse an dem Beruf zu stärken, aber auch damit Pflegekräfte gute Pflege leisten können und lange ausüben möchten. Die Personaluntergrenzen in pflegeintensiven Bereichen können nur ein erster Schritt sein. Die Einführung verbindlicher Personalbemessungsinstrumente in der Krankenhauspflege, der stationären Pflege und der ambulanten Langzeitpflege muss auf Bundesebene endlich erfolgen. Zusätzlich braucht es eine Strategie für gute Pflegearbeit – stationär und ambulant. Hier stehen vor allem die Arbeitgeber in der Pflicht, attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Der Senat soll gemeinsam mit den Arbeitgebern ein Berliner Pflegepersonalkonzept erarbeiten, mit dem Ziel feste Anstellungsverhältnisse auf Stationen und in Teams wieder attraktiver zu machen und Leasingarbeit in der Pflege damit einzudämmen. Wir unterstützen eine höhere tarifliche Bezahlung von Pflegekräften sowie einen Flächentarifvertrag für die ambulante Pflege. Hohe Mitbestimmungs- und Gestaltungsrechte bei der Pflegedienstplanung sowie moderne und flexiblere Arbeitszeitmodelle, als auch die Sicherstellung der Kinderbetreuung im Schichtdienst, können die beruflichen und privaten Interessen berücksichtigen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Der Aufbau von Personalpools in und zwischen Krankenhäusern kann eine bessere Balance zwischen Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeberinteressen ermöglichen. Betriebliche Förderprogramme sollen Pflegekräfte in ihrer Karriereplanung und beruflichen Weiterentwicklung stärken.
Berliner Pflegekammer etablieren
Wir setzen uns deshalb für eine Politik ein, die Lösungsansätze für die gesamte Pflege (ambulant, stationär und Krankenhäuser) erarbeitet und verlässlich für alle Beteiligten ist. Der Gesundheitsbereich nimmt eine zentrale Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins ein, wobei die größte Gruppe der Beschäftigten im Pflegesektor tätig ist. Durch die Selbstverwaltung der Pflege kann sich der Beruf aktuellen Entwicklungen und Innovationen im Gesundheitsbereich am Forschungsstandort Berlin anpassen. Deshalb unterstützen wir die Etablierung einer Berliner Pflegekammer. Sie würde die professionelle und sachgerechte Pflege und deren Weiterentwicklung fördern und zur Professionalisierung des Berufsstandes beitragen. Die Pflegeberufe würden im öffentlichen und politischen Raum stärker wahrgenommen werden und können ihre Expertise in gesetzgeberische Prozesse sowie die Gestaltung und Weiterentwicklung des Gesundheitswesens in Berlin stärker als heute einbringen.
Berlin als weltoffene, wachsende und anziehende Stadt kann mit der Pflegekammer den Grundstein dafür legen, dass die pflegerische Versorgung in Zukunft gesichert ist und der Standort für beruflich Pflegende attraktiv bleibt. Durch die Definition von Ausbildungs- und Qualitätsstandards sowie durch eindeutige Regelungen zur Anerkennung von anderen Abschlüssen wird die Ausnutzung ausländischer Pflegekräfte verhindert und deren Integration ins Berufsleben unterstützt.
Durch die Kooperation aller Landespflegekammern (wie es bereits zwischen den Bundesländern Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein erfolgt), werden föderale Barrieren der beruflichen Freizügigkeit abgebaut. Wir unterstützen die Selbstverwaltung der Pflegekräfte. Damit sollen auch Mitspracherechte für Pflege- und Gesundheitsberufe in den Gremien der Selbstverwaltung verbessert werden. Ebenso unterstützen wir einen allgemeingültigen Tarifvertrag für gute Arbeit in der Pflege.