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Plenarrede von Bettina Jarasch: Nie wieder ist jetzt!

Foto von Bettina Jarasch bei ihrer Rede im Abgeordnetenhaus. Sie steht am Redepult und schaut durchdringend. Sie hat mittellange schwarze Locken und trägt ein schwarzes Kleid mit weißem Kragen. Foto: Alisa Raudszus/Grüne Fraktion Berlin

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Ihre Exzellenz Herr Prosor,
Sehr geehrte Rabbiner*innen und Vertreter*innen der Jüdischen Gemeinschaft Berlin,
werte KollegInnen – liebe Gäste,

Es gibt Worte, die müssen gesagt und auch wenn nötig auch immer wieder wiederholt werden. Unmissverständlich und in aller Klarheit. Eine solche Lage verträgt keine keine Zweideutigkeiten.

Deshalb sage ich in aller Deutlichkeit: Antisemitismus hat in Berlin keinen Platz! Nicht heute, nicht morgen, niemals wieder!

Deshalb verurteilen wir jeden Angriff auf jüdische Einrichtungen in Berlin auf Schärfste. Wir verurteilen jeden Angriff auf jüdische Bürgerinnen unserer Stadt und wir verurteilen den brutalen Terror Angriff der Hamas und ihrer Verbündeten auf Israel.

Die Hamas nimmt Menschen als Geiseln. Israelis wurden als Geiseln verschleppt. Und sie nimmt auch die eigene Bevölkerung in eine brutale Geiselhaft. Die Hamas feiert tote Israelis. Und der Tod von palästinensischen Kindern, Frauen und unschuldigenZivilist*innen ist ihnen völlig egal. Mehr noch: Sie hindern die eigene Bevölkerung daran, der eindringlichen Aufforderung des israelischen Militärs zu folgen und in den Süden des Landes zu fliehen.

Bei Militäraktionen sterben Menschen, auch Zivilist*innen. Das wissen wir und tragen schwer an diesem Wissen.

Aber der Terror der Hamas hat es ausdrücklich auf Zivilist*innen abgesehen. Der Terrorismus der Hamas versucht durch Mord, Vergewaltigung und Verschleppung die israelische Regierung zu erpressen. Unschuldige Menschen werden so als Waffe und als Schutzschild missbraucht. –

Und schon allein deshalb verbietet sich jede Art von Gleichsetzung zwischen dem, was die Hamas in Israel tut, und den Reaktionen des israelischen Militärs auf den Hamas-Terror.

Deshalb gilt für uns ganz klar: Wir stehen für das Existenzrecht Israels genauso  ein wie  auch für sein völkerrechtlich verbrieftes Selbstverteidigungsrecht. Denn das eine gibt es nur mit dem anderen zusammen.

Nie wieder ist Jetzt! Das gilt für den Nahen Osten genauso wie für Berlin. Antisemitismus darf es in Deutschland und schon gar nicht in Berlin jemals wieder geben – Nie wieder heißt für uns, jeden Tag gegen jede Form von Israelfeindlichkeit und Antisemitismus einzutreten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Das Existenzrecht Israels ist deutsche Staatsräson: Machen wir uns eigentlich klar, was dieser Satz bedeutet? Er bedeutet, dass es Israel geben muss und wir in der Pflicht sind, es zu verteidigen. Damit Jüdinnen und Juden überall auf der Welt wissen, sie haben einen eigenen Staat, der sie aufnimmt und in der Lage ist zu beschützen. Weil die Unantastbarkeit der Menschenwürde und das „Nie Wieder!“ angesichts des Grauens des Holocaust das Fundament sind, auf dem unser heutiges modernes, demokratisches Deutschland ruht.

Wenn Israels Existenzrecht in Frage gestellt wird, dann bröckelt dieses Fundament.

Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, trägt hier eine besondere Verantwortung. Berlin ist die Stadt, in der der Holocaust geplant und gesteuert wurde. Und Berlin ist eine Stadt, die heute stolz darauf ist, Sehnsuchtsort für viele junge Israelis und ein stetig wachsendes und vielfältiges jüdisches Leben zu sein.

Es war richtig und wichtig, das Brandenburger Tor gleich am Abend des Terrorangriffs am 7. Oktober mit der israelischen Flagge anzustrahlen. Denn durch dieses Tor marschierte 1933 die SS nach der Machtübergabe an Hitler mit Fackeln. Das Brandenburger Tor ist heute aber das Symbol der Freiheit unserer Stadt. Als solches darf es nie wieder Bühne für Hass, menschenverachtende Ideologien und Antisemitismus sein: Denn Nie wieder ist jetzt!

Klar ist aber auch: Worte genügen nicht.

Drei Tage nach dem Terrorangriff der Hamas war ich mit einigen Kolleg*innen aus diesem Haus im jüdischen Campus der Chabad-Gemeinde in Charlottenburg zu Gast. Die Schulleiterin erzählte uns, dass die Kinder zunächst einfach geschockt waren über die Bilder von geschändeten Leichen und gequälten Geiseln. Dann kam die Angst. Und bei der Angst geht es um Berlin, um ihr Leben, ihre Heimat!.

Denn bedrohliche Bilder aus der Stadt, in der sie leben, häufen sich. In den letzten Tagen  wurde auf Berliner Straßen der Hamas-Terror und die Toten als vermeintliche Befreiung Palästinas gefeiert, israelische Fahnen brannten, hunderte folgen Aufrufen zum aggressiven antiisraelischen und antisemitischen Aufläufen und Versammlungen. Vorgestern Nacht flog ein Molotov-Cocktail auf die jüdischen Gemeinde Kahal Adass Jisroel in der Brunnenstraße.

Meine Damen und Herren – das ist ein Sündenfall. Das in der deutschen Hauptstadt jemals wieder Synagogen und sogar das Holocaut Mahnmal angegriffen werden ist unerträglich und beschämend. Dass Davidsterne an Türen von Häusern geschmiert wurden, in denen Berliner Jüd*innen wohnen erinnert mich an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.

Bei all diesen schrecklichen Bildern, möchte ich ausdrücklich der Berliner Polizei danken: Während viele von uns noch in einer Stockstarre waren, hat die Polizei auf Hochtouren die Gefährdungslage angepasst und Maßnahmen getroffen, um die rund 100 jüdischen Einrichtungen in Berlin zu schützen und der Verherrlichung von Gewalt und Terror entgegenzutreten. Das ist auch angesichts der Ereignisse und Entwicklungen der letzten Tage kein einfacher Job. Sie setzen besonnen, aber mit aller Konsequenz den Rechtsstaat durch. Wo Straftaten begangen werden, handeln sie schnell und greifen gezielt ein. Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber wenn Versammlungen gekapert werden, um Gewalt zu verherrlichen, ist es richtig, sie aufzulösen. Deeskalation ist das Gebot der Stunde, und hier sind auch alle Demokrat*innen in der Pflicht!

Es ist hier Konsens, dass Straftäter nicht ungestraft davonkommen. Genauso sind die Betätigungsverbote für die Hamas und das Verbot der Organisation Samidoun die richtige Entscheidung. – Wir werden aber auch darüber sprechen müssen, wie wir die jüdischen Einrichtungen dauerhaft besser schützen können, auch die, die wie Kahal Adass Jisroel nicht zur jüdischen Gemeinde Berlin gehören.

Meine Damen und Herren,

Berlin ist nach dem Ende des zweiten Weltkriegs über die Jahrzehnte und die Wiedervereinigung bis heute zum Symbol für Freiheit und Vielfalt geworden. Das wollen wir auch weiter sein! Zur Vielfalt dieser Stadt gehört auch eine große palästinensische Community. Viele von Ihnen sind seit Jahrzehnten hier, ihre Kinder sind hier geboren.

Und die allermeisten wollen nichts zu tun haben mit der Glorifizierung des Hamas-Terrors durch Organisationen wie Samidoun. Sie wollen weder von Samidoun, von Hamas noch von der Hisbollah vereinnahmt werden. Sie halten auch dagegen! Auch das ist Berlin!

Auch sie sehen, was die Hamas ihren noch dort lebenden Familien und Freunden angetan hat.  Die Hamas kämpft nicht für die Freiheit von diesen Familien, sie kämpft nicht für die Menschen im Gazastreifen. Sie kämpft für Hass und Spaltung. Sie will einen Keil in unsere Gesellschaft treiben.

Das wissen die Menschen. Auch für sie ist dies eine schwere Zeit. Wir haben Respekt vor all jenen, die in diesen Zeiten die richtigen Worte finden. So wie der Imam der Dar Assalam-Moschee in Neukölln, Imam Taha Sabri, der die Gläubigen beim Freitagsgebet eindringlich ermahnt hat, Ruhe zu bewahren – nachdem die Hamas diesen Tag zum „Tag des Zorns“ ausgerufen hatte.

Nicht alle hören auf solche Appelle. Zurecht richten wir dabei auch einen besonderen Blick auf die, die eskalieren. Gerade wenn Jugendliche in den Konflikt mit dem Rechtsstaat treten. Das muss man klar benennen, und es braucht rasche Strafen. Vor allem braucht es aber Lösungen. Wer jetzt stattdessen schwadroniert, in Deutschland geborene Jugendliche auszubürgern oder abzuschieben, der zündelt!

Mehr denn je braucht es Aufklärung und die Räume für Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt, mit Antisemitismus, auch mit unserer Geschichte. Schwierige Gespräche, aber sie müssen sein. Schule kann und muss ein solcher Ort sein. Aber dafür brauchen Lehrkräfte Unterstützung. Sie brauchen keine Verbote, sie brauchen Expertise – und die gibt es in Berlin.

Alleine im letzten Jahr meldete RIAS, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin, 848 antisemitische Vorfälle hier in unserer Hauptstadt. – Sie und andere versuchen seit Jahren, das Dunkelfeld aufzuhellen, zu dokumentieren. Sie brauchen eine dauerhafte Unterstützung ihrer Arbeit. Vieles ist geschehen, vieles bleibt zu tun. Mit Studien abspeisen dürfen wir die Community nicht. Gerade jetzt nicht.

Einen großen Dank möchte ich an die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus aussprechen. Die leisten gerade im Dialog mit unzähligen Klassen und Lehrkräften einen unverzichtbaren Beitrag. Oder auch Projekte, die derzeit um das Weiterbestehen kämpfen, wie der New Israel Fund, der speziell zum Nahostkonflikt und israelbezogenem Antisemitismus arbeitet. Oder die Amadeu Antonio Stiftung, deren Gründerin Annetta Kahane seit über 30 Jahren Vorkämpferin gegen Antisemitismus und Rassismus ist. Danke auch von diesem Haus.

Was diese Projekte gerade für unsere Demokratie leisten, ist essentiell. Doch sie arbeiten am Limit – vor allem in den letzten 12 Tagen. Sie brauchen jetzt Verstärkung. Das braucht es jetzt als finanzielle Sofortmaßnahme. Ich bitte den Senat: Bringen Sie das umgehend auf den Weg. Und anschließend natürlich auch im Doppelhaushalt, denn diese Arbeit wird in diesen Zeiten mehr gebraucht, denn je! Das sollte ein Ergebnis der heutigen Debatte sein. Denn der Kampf gegen Antisemitismus ist eine Daueraufgabe.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Vor allem aber können wir das Aufstehen gegen Antisemitismus nicht einfach an Expert*innen delegieren. Es ist unser aller Verantwortung. (Ich zitiere mit Verlaub der Präsidentin):
„Dies ist kein Krieg gegen die Juden. Dies ist ein Krieg gegen uns alle. Jene, die heute gegen Juden sind, sind morgen gegen Frauen, übermorgen gegen Homosexuelle und schließlich gegen alle Menschen in der Demokratie.“ So hat Rabbi Teichtal es formuliert, und er hat recht.

Unser Frieden, unsere Freiheit und unsere Demokratie sind das Kostbarste, was wir haben. Aber sie sind keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen sie verteidigen – jeden Tag aufs Neue. Dafür müssen wir zusammenstehen. Umso mehr danke ich allen, die das am Tag des Zorns vergangenen Freitag getan haben, wie Holger Michel, der nach kurzem Kontakt mit Betenden von der Synagoge Fraenkelufer die Mahnwache am Fraenkelufer organisiert hat und so gemeinsam mit sehr vielen Menschen im gemeinsamen Gedenken ein starkes Zeichen für Zusammenhalt und Solidarität in Berlin setzte. Und das, meine Damen und Herren, das ist unser Berlin.

Ich danke aber auch allen Jüdinnen und Juden, die sich nicht haben einschüchtern lassen, die ihrer Stadt und den Berliner*innen so vertraut haben, dass sie ihre Kinder auch am Tag des Zorns zur Schule geschickt haben, die auch am Tag des Zorns zur Synagoge gegangen sind, um Shabat zu feiern.

Diesem Vertrauen müssen wir uns würdig erweisen, im politischen Handeln genauso wie als Mitglieder unserer Zivilgesellschaft. Unser Versprechen ist: Wir stehen an Ihrer Seite und wir stellen uns vor Euch! Euer Schutz hat Priorität.

Lassen Sie mich noch einen persönlichen Gedanken teilen: Der Terrorangriff der Hamas fiel nicht zufällig auf den letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfests Sukkot. Zwei Tage davor saß ich noch mit vielen anderen jüdischen, muslimischen und christlichen Menschen auf den harten schmalen Bänken der Laubhütte neben der Synagoge am Oranienburger Tor – eingeladen von den Frauen, die gemeinsam eine Drei-Religionen-Kita bauen. Eine der Gründerinnen, Rabbinerin Gesa Ederberg, ist heute hier zu Gast.

Die Erinnerung an diesen Abend, der noch nicht lange her ist, ist fast wie eine Erinnerung aus einer anderen Zeit. Genau wie die Botschaft des jüngsten Ehrenbürgers von Berlin, dem jüdischen Dirigenten Daniel Barenboim. Er hat gerade in diesen Tagen seinen Appell erneuert, in den Anderen vor allem erst einmal Menschen zu sehen. Es sind Worte, die aus einer anderen, einfacheren Welt zu stammen scheinen. Und doch brauchen wir genau dieses hartnäckige Festhalten an dem, was der Kitt in vielfältigen Gesellschaften ist: Dialog. Der Versuch der Verständigung. Selbst in diesen schwierigen Zeiten.

Zusammenhalt lässt sich weder von oben noch rechtlich verordnen. Doch Zusammenhalt ist das, was die Demokratie stark macht gegen Hass, Gewalt und Terror.

Deshalb danke ich allen, die auch in dieser Situation an ihrer Hoffnung auf ein friedliches interkulturelles, interreligiöses Zusammenleben in dieser Stadt der Freiheit festhalten.

So wie es Rabbinerin Gesa Ederberg in ihrer Drei-Religionen-Kita tut.

So wie es die Kahal Adass Jisroel-Gemeinde in Mitte immer getan hat. Und ich hoffe, der Angriff vorgestern Nacht bringt sie nicht davon ab, wenn Sie versichert sind, dass wir an ihrer Seite stehen!

Werte Kolleginnen und Kollegen,

Wir verabschieden heute eine Resolution mit dem Titel „Berlin steht an der Seite Israels.“ Es hätte eine gemeinsame, fraktionsübergreifende Resolution der vier demokratischen Parteien werden können. Es wäre ein starkes Zeichen des Zusammenhalts, gerade in einer solchen Situation gemeinsam zu agieren. Verantwortung verlangt eben auch, über den eigenen Schatten zu springen. Ich bedaure ausdrücklich, dass es nicht möglich war, sich heute auf eine gemeinsame Entschließung zu verständigen.

Es ist jetzt dennoch keine Zeit für parteitaktische Spielchen. Deshalb werden wir der Resolution von schwarz-rot zustimmen. Denn: Es braucht Klarheit und Einigkeit in einer solchen Lage.

Von diesem Haus sollte heute eine klare Botschaft ausgehen: Wir lassen uns nicht spalten. Wir stehen an der Seite all derjenigen, die gegen Spaltung, gegen Hass und Antisemitismus und für das friedliche Zusammenleben in unserer demokratischen Gesellschaft streiten.

Vielen Dank.

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