Rede von Antje Kapek zur Aktuellen Stunde in der Plenarsitzung am 3.9.2020

Rede von Antje Kapek zur Aktuellen Stunde in der Plenarsitzung am 3.9.2020
*** Es gilt das gesprochene Wort ***
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
immer wieder fragen mich Menschen, ob ich persönlich eigentlich jemanden kenne, der am Coronavirus erkrankt ist. Dahinter steckt natürlich eine ganz andere Frage. Und zwar: Gibt es Corona wirklich?
Die Antwort ist einfach: Natürlich gibt es Corona! Diese Pandemie ist echt und sie ist verdammt gefährlich. Ich persönlich kenne Menschen, die an dem Virus erkrankt sind und ich kenne Menschen, die ihre Liebsten durch Corona verloren haben.
Trotzdem verstehe ich, dass viele nicht auf ihre Freiheiten verzichten wollen. Und Ja, das Coronavirus stellt uns als Gesellschaft vor immense Herausforderungen. Viele mussten in Kurzarbeit gehen oder schlimmer; haben ihren Job verloren, bangen um ihre Existenz, kämpfen mit Isolation und Einsamkeit oder erfahren gar Gewalt.
Aber das Schlimmste und Gefährlichste, was uns allen passieren kann, ist das Leugnen des Virus und seiner Gefahr. Wo das hinführt sehen wir Tag für Tag in den Nachrichten aus Amerika und Brasilien. Gott sei Dank, haben wir schnell und konsequent gehandelt und damit vielen Menschen das Leben gerettet. Und genauso werden wir auch das Mammutprojekt “Wiederaufbau” gemeinsam stemmen und Investitionen zur Stabilisierung des Gesundheitssystems tätigen, die Wirtschaft wieder in Schwung bringen und die Digitalisierung stärken.
Das Gute ist: Die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner steht bis heute hinter den Corona-Maßnahmen. Denn sie wissen: Wir müssen diese Pandemie ernst nehmen, um Leben zu schützen. Dafür gebührt ihnen Dank und Respekt, meine Damen und Herren.
Aber gerade weil die Maßnahmen so einschneidend sind, muss es auch möglich sein, gegen sie zu demonstrieren. Wir waren deshalb von Anfang an gegen eine unverhältnismäßige Beschränkung der Versammlungsfreiheit.
Denn eine Demokratie lebt von der politischen Auseinandersetzung. Für diese gelten aber Regeln – und zwar für alle und überall. Das heißt: ich darf zwar gegen Abstandsregeln und Maskenpflicht auf die Straße gehen, aber ich darf sie nicht eigenmächtig außer Kraft setzen. Der Gesundheitsschutz gilt auch hier. Und das Grundrecht auf Versammlung enthebt den Einzelnen auch nicht von seiner Verantwortung, genau zu schauen, mit wem man sich da auf der Straße gemein macht.
Denn eins ist doch ganz klar: Wer Seit an Seit mit Rechtsextremen, Reichsbürgern, Identitären und Antisemiten demonstriert, wer seine Friedens- oder Regenbogenflagge neben der Reichsflagge wehen lässt, der macht sich zum Steigbügelhalter der extremen Rechten. Ob Corona oder Rechtsextreme; in beiden Fällen gilt: Abstand halten hilft! Wenn ich Frieden und Freiheit will, dann darf ich nicht mit Nazis auf die Straße gehen. Punkt.
Grundsätzlich gilt: Jede Einschränkung der Versammlungsfreiheit muss gut begründet sein. Die Verbotsdebatte im Vorfeld der Querdenken-Demo hat die Stimmung deshalb stark angeheizt. Viele sind zu Recht wütend darüber, dass die Polizei am Samstag zum Teil auf verlorenem Posten stand. Dass sie ihrer Aufgabe dennoch unbeirrt nachging, ist ein Grund, Danke zu sagen. Vor allem den Polizisten, die das Brandenburger Tor und den Reichstag schützten. Dafür danken wir Ihnen!
Spätestens nach diesem Wochenende sollte aber auch jedem Polizisten und jeder Polizistin eins klar sein: Die wahren Feinde der Demokratie stehen rechts.
Klar ist auch: Wer Mist baut, muss dazu stehen! Deshalb müssen wir Fehler aufarbeiten und die Sicherheitsstrategie anpassen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir jetzt gleich wieder in reflexhafte Verbotsdebatten verfallen sollten oder unsere Parlamente hermetisch abriegeln müssen. Der Bundestag ist keine Festung. Nein, ein zwischen Bund und Berlin abgestimmtes Sicherheitskonzept und eine angepasste Einsatzstrategie müssen reichen, um das Reichstagsgebäude zu schützen und gleichzeitig seinen Charakter als offenes demokratisches Haus zu erhalten, meine Damen und Herren.
Die Bilder vom Wochenende sind erschütternd, ja. Aber sie sind in erster Linie eben genau das: Bilder! Wir als Gesellschaft haben in der Hand, welche Macht wir ihnen geben. Am letzten Wochenende war die Demokratie nicht stärker bedroht als sonst auch. Das größte Problem sind nicht die Rechten auf der Treppe, sondern die Faschisten im Parlament. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten, meine Damen und Herren: dass wir die wieder vor die Tür setzen.
Vor allem aber dürfen wir sie nicht unterschätzen. Wenn Verschwörungsmythen salonfähiger werden und Hass und Hetze zunehmen, ist das der perfekte Nährboden für rechtsextreme Tendenzen. Und auch wenn die Bilder neu sind, das Phänomen ist es nicht. Hanau, Halle, Neukölln – wir sind doch mittendrin im Kampf um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir endlich einen Schulterschluss gegen Rechts und eine klare Benennung des Problems.
Das geht auch an die Adresse der CDU. Sie, Herr Dregger, haben heute wieder Links und Rechts in einen Topf geworfen. Hören Sie auf damit! Sie verharmlosen so die Rechten und ihre menschenverachtenden Positionen. Übernehmen Sie endlich Verantwortung: Kommen Sie ihrer Rolle als Konservative nach und ziehen Sie eine klare Grenze zwischen konservativ und rechts. Das betrifft auch die Abgrenzung zur AfD. Denn sie ist Teil des Problems. Ja, auch die Abgeordneten der Berliner AfD-Fraktion marschieren Seit an Seit mit Rechtsextremen und Verfassungsfeinden, der Identitären Bewegung und auch der NPD und beweisen damit der ganzen Welt, wessen Geistes Kind sie sind.
Die Empörung über die Ereignisse vom Wochenende ist groß. Aber das reicht nicht. Von all jenen, die jetzt entsetzt, schockiert oder verwundert sind, erwarte ich, dass sie auch etwas tun. Mischen Sie sich ein! Denn die Verteidigung unserer Demokratie dürfen wir nicht alleine der Polizei überlassen. Sie ist Aufgabe und Pflicht eines jeden Einzelnen von uns. Oder konkret: Wer empört ist, muss auch handeln!
Für die Politik heißt das, konsequente und strukturelle Vorschläge zur Bekämpfung von Rechtsextremismus zu machen. Dazu gehören:
Mehr Ermittlungsdruck und eine konsequente Strafverfolgung bei rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Straf- und Gewalttaten,
eine Nulltoleranz gegenüber Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden und dem öffentlichen Dienst,
eine gesetzliche Meldepflicht zum Waffenbesitz und der Entzug der Waffenerlaubnis bei rechtsextremen Gefährdern,
ein konsequentes und schnelles Vorgehen gegen Hass und Hetze im Netz mit klarer behördlicher Zuständigkeit,
Schutz und Aufklärung für Menschen auf rechtsextremen Feindeslisten und
den Ausbau und die Stärkung unabhängiger Beratungsstellen für Opferberatung und Antidiskriminierung.
Neben all diesen Maßnahmen, braucht es aber vor allem eins: Möglichst viele, die Zivilcourage zeigen. Das ist oft nicht leicht. Aber immer dringend nötig. Deshalb appelliere ich an alle Berlinerinnen und Berliner: Schauen Sie nicht weg, wenn Menschen – aus welchen Gründen auch immer – erniedrigt, herabgewürdigt oder gar angegriffen werden. Berlin lässt sich keine Angst machen! Weder von Corona-Leugnern noch von Rechtsextremen. Wir bleiben bunt, offen und tolerant, auch und gerade in der Krise.
Und ja, wir wissen um die Macht der Bilder. Aber meine Damen und Herren, es liegt in unseren Händen, neue Bilder zu produzieren. Es ist an uns, Bilder der Demokratie und der Freiheit zu schaffen. Lassen Sie uns bei der nächsten Demo gemeinsam Aufstehen und eine Menschenkette um unsere demokratischen Institutionen spannen. Lassen Sie uns ein deutliches Zeichen gegen Rechts setzen und uns gemeinsam “Stopp!” sagen: Stopp zu allen rechten und menschenverachtenden Ideologien, Stopp zu Verschwörungsmythen, Stopp zu jeder Form von Neo-Faschismus und Stopp zu Antisemitismus.
Lassen Sie uns gemeinsam demonstrieren: “Wir sind mehr” und “wir stellen uns Hass und Hetze entgegen”. Das sind die Bilder der Zukunft, meine Damen und Herren.