Vernunft statt Ideologie in der Drogenpolitik
In unserem Fraktionsbeschluss zeigen wir Grünen die nächsten Schritte auf dem Weg zu einer akzeptierenden Drogenpolitik in Berlin auf. Das Papier, das am 20. März 2019 vorgestellt wurde, skizziert in elf Forderungen, wie die Stadt von morgen drogenpolitisch aussehen kann.
Von der Kriminalisierung zur Aufklärung
Für den Paradigmenwechsel von der Kriminalisierung zur Aufklärung ist das bereits bestehende Cannabis-Modellprojekt ein wichtiger Schritt. Denn schon lange ist klar: Repressive Drogenpolitik erschwert Suchtprävention. Wir fordern, die Erkenntnisse aus dererlei Projekten bundesweit zu bündeln und wissenschaftlich auszuwerten. Dazu soll eine Cannabis-Städte-Netzwerk gegründet werden. Im Sinne einer evidenzbasierten Drogenpolitik soll das Land eine Bundesratsinitiative zur Einführung eines Cannabiskontrollgesetzes in Deutschland sowie zur Evaluation des Betäubungsmittelrechts starten.
Drogenpolitik ist Gesundheitspolitik
Abhängige sind Suchtkranke. Sie brauchen keine Strafverfolgung, sondern bessere und systematischere Unterstützung. Wir fordern deshalb eine Runden Tisch zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von drogenkonsumierenden Menschen und Menschen mit Suchterkrankungen in Haftanstalten. Wir wollen Drogenkonsumräume und Diamorphinpraxen und die sichere Spritzenentsorgung an Konsumorten ausbauen. Mit einem Naloxonprojekt können wir dazu beitragen, dass die Zahl tödliche Opiatvergiftungen zurückgeht. Auch Drug-Checking und Präventionsarbeit im Party-Setting werden helfen, möglichen Schäden vorzubeugen. Familien mit Suchterfahrungen brauchen mehr und leicht zugängliche Information. Dazu geht schließlich auch, Fachstellen für Suchtprävention weiterzuentwickeln.
Medizinisches Cannabis reicht nicht aus
Die erste Forderung im Fraktionsbeschluss gilt aber der Frage, wie die heilende Wirkung einer Droge konsequent genutzt werden kann. Die Rede ist medizinischem Cannabis, das seit zwei Jahren in Deutschland als Medizin zugelassen ist. Die Praxis zeigt hier, dass nur ein Bruchteil der potenziellen Patient*innen davon profitieren davon. Denn es ist zu wenig medizinisches Cannabis auf dem deutschen Markt verfügbar. Die Importe können den Bedarf nicht decken und noch immer findet in Deutschland kein Anbau statt. Und der Bedarf steigt: 2017 wurden 44.000 Einheiten in Apotheken abgegeben, 2018 waren es schon 145.000, also mehr als drei Mal so viel! Wir wollen dem Anbau von Cannabis als Medizin auf die Sprünge helfen und den Rahmen schaffen, damit Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Wir fordern deshalb, die Etablierung eines landeseigenen Cannabisunternehmens zum Anbau von Cannabis zum medizinischen Gebrauch zu prüfen.
Dabei geht es nicht darum, ein Pharmaunternehmen auf- oder gar Cannabis selbst anzubauen. Aber: Wir wollen Expertise bündeln und eine Kooperation mit Wissenschaft, Forschung und Industrie ermöglichen. Dazu könnte das Land Berlin Flächen oder Gebäude für den Anbau bereitstellen, aber auch Anschubfinanzierungen leisten.
Hier geht es zum Beschlusspapier:
Inhalt:
Beschlusspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 04.12.2018
GRÜNE DROGENPOLITIK: PRÄVENTION STATT DROGENVERBOT – FÜR EINE STARKE SUCHTPRÄVENTION UND AKZEPTIERENDE DROGENPOLITIK IN BERLIN
Selbstbestimmung und Aufklärung statt Tabuisierung
Im Mittelpunkt muss die Selbstbestimmung und Freiheit von Konsumierenden stehen. Der Konsum
psychoaktiver Substanzen ist Teil menschlichen Verhaltens. Die Gründe, warum Menschen Drogen
konsumieren, sind sehr vielfältig. Das Drogenverbot und der Fokus auf die Strafverfolgung stehen
der Selbstbestimmung und Freiheit von erwachsenen Konsumierenden entgegen.
Das Abstinenzmantra ist keine Suchtprävention. Weil Drogen nicht harmlos sind und gesundheitliche
Schäden verursachen können, müssen erwachsene (potenzielle) Konsumierende über die Droge, ihre
Wirkung, die gesundheitlichen Risiken und das Suchtpotenzial, Maßnahmen der Schadensminderung
und Verhalten im Notfall vorurteilsfrei aufgeklärt werden. Nur informiert können sie selbstbestimmt
eine Entscheidung für oder gegen den Konsum fällen.
Nicht immer ist der Drogenkonsum Ausdruck von Selbstbestimmung und Freiheit des/der Konsumierenden.
Problematisches Konsumverhalten und die Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen
sind von verschiedenen Faktoren abhängig, die sich darauf auswirken, ob der Konsum selbstbestimmt
bleibt. Eine Abhängigkeit ist eine schwere Erkrankung. Strafverfolgung oder Stigmatisierung
sind keine passenden Antworten auf die Probleme und Bedürfnisse suchterkrankter Menschen.
Entkriminalisierung statt sinnloser Kifferjagd
Das Drogenverbot konnte weder die Nachfrage, noch das Angebot von Drogen reduzieren. Die
Strafverfolgung von Konsumierenden verfehlt ihr Ziel. Der Drogenkonsum ist seit Jahren
gleichbleibend hoch. Die Jagd auf Konsumierende schränkt nicht nur deren Freiheit und
Selbstbestimmung ein, sondern setzt falsche Schwerpunkte für Polizei, Justiz und Staatsanwaltschaft.
Wertvolle Kapazitäten werden gebunden, die bei der Bekämpfung der organisierten
Drogenkriminalität fehlen. Gerade deshalb war es richtig, die sinnlosen Null-Toleranz-Zonen in
Berlin rund um den Görlitzer Park abzuschaffen. Die Kriminalisierung von Drogenkonsumierenden ist
unverhältnismäßig und kontraproduktiv.
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Denn Fakt ist: Die repressive Drogenpolitik fördert drogenbedingte Probleme. Sie löst sie aber nicht.
Auf dem Schwarzmarkt, der fest in den Händen der organisierten Kriminalität ist, existieren weder
Jugend- oder Verbraucher*innenschutz, noch Suchtprävention. Statt Menschen zu schützen,
erschwert das Drogenverbot für Betroffene den Zugang zu Hilfsangeboten und Therapie, denn
Betroffene haben Angst vor Sanktionen. Eltern decken die Cannabisabhängigkeit ihres Kindes aus
Scham und Angst vor Strafverfolgung, so dass medizinisch-therapeutische Hilfe oft erst viel zu spät
erfolgt. Ein Mensch mit Opiatabhängigkeit wird durch die Verurteilung zu einer Haftstrafe nicht
automatisch „clean“, denn Sucht ist eine Krankheit und kann nicht durch Repression geheilt werden.
Grüne Drogenpolitik: präventiv, vernünftig und akzeptierend
Wir Grüne setzen uns für eine evidenzbasierte und am Wohl der Menschen orientierte Drogenpolitik
ein. Drogenpolitische Maßnahmen müssen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen gründen und
dürfen nicht länger ideologisch in Stein gemeißelt sein. Jegliche Kriminalisierung von
Drogenkonsumierenden lehnen wir strikt ab. Unser Ziel ist es, die Schäden durch Drogen frühst-,
weitest- und bestmöglich zu reduzieren. Das gilt für alle legalen wie illegalen Drogen, ebenso wie
für stoffungebundene Suchtformen, wie die Spielsucht.
Wir Grüne stehen für eine starke Drogen- und Suchtprävention. Wir setzen auf einen
selbstbestimmten und informierten Drogenkonsum erwachsener Konsumierender. Drogen müssen
nach ihrem Risiko- und Suchtpotenzial wissenschaftlich bewertet und staatlich reguliert werden. Ein
reguliertes System etabliert Schutz und Sicherheit, setzt aber auch klare Grenzen. Kinder- und
Jugendschutz sind für uns nicht verhandelbar. Um Kinder und Jugendliche besser zu schützen und
die Prävention zu stärken, braucht es ein gemeinsames Vorgehen der verschiedenen Akteur*innen in
den Bildungs-, Jugend- und Gesundheitseinrichtungen sowie der Polizei, aber auch verstärkte
Information und Aufklärung für Eltern.
Um Schäden durch Konsum wirksam zu reduzieren, setzen wir auf glaubhafte Information und
Aufklärung über Drogen und ihre Risiken sowie schadensmindernde Maßnahmen. Für Menschen mit
einer Abhängigkeitserkrankung müssen leicht zugängliche Hilfsangebote und medizinische wie
therapeutische Versorgung zur Verfügung stehen.
Die drogenpolitischen Vereinbarungen im Rot-Rot-Grünen Koalitionsvertrag tragen eine klare Grüne
Handschrift. Hier sind uns wichtige Verhandlungserfolge gelungen, die Berlin braucht, um
Suchtprävention, Schadensminderung und Suchthilfesystem zu stärken. Die Umsetzung des
Cannabismodellprojektes und die Einführung von Drug-Checking sind für uns wichtige und längst
überfällige Schritte in der Drogenpolitik. Deshalb war und ist es für uns Grüne wichtig, im Haushalt
Gelder einzuplanen, die eine Umsetzung dieser Projekte ermöglichen.
Darüber hinaus haben wir Grüne jedoch den Anspruch, die Berliner Drogenpolitik weiterzudenken.
Der Wandel hin zu einer vernünftigen und akzeptierenden Drogenpolitik fängt mit der Umsetzung
der Koalitionsvereinbarungen erst an.
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Wir fordern:
• Die Etablierung eines landeseigenen Cannabisunternehmens zum Anbau von Cannabis zum
medizinischen Gebrauch zu prüfen.
• Die Gründung eines Cannabis-Städte-Netzwerkes für wissenschaftlich begleitete
Cannabismodellprojekte.
• Eine Bundesratsinitiative zur Einführung eines Cannabiskontrollgesetzes in Deutschland
sowie zur Evaluation des Betäubungsmittelrechts.
• Eine Landesstrategie zur Prävention von Tabakkonsum, riskantem Alkoholkonsum sowie
Spiel- und Mediensucht.
• Eine Berliner Kampagne zur Aufklärung über Arzneimittelabhängigkeit sowie eine Studie
über Arzneimittelabhängigkeit in der Altersgruppe über 65 Jahren.
• Einen Runden Tisch zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von
drogenkonsumierenden Menschen und Menschen mit Suchterkrankungen in Haftanstalten.
• Den Ausbau von Drogenkonsumräumen und Diamorphinpraxen in Berlin sowie den Ausbau
von sicheren Spritzenentsorgungskanistern an Konsumorten.
• Ein Berliner Naloxonprojekt, um tödliche Opiatvergiftungen zu verhindern.
• Den Ausbau von Drug-Checking und Präventionsarbeit im Party-Setting.
• Leicht zugängliche Informationen und Unterstützungsangebote für Familien mit
Suchterfahrungen.
• Die Weiterentwicklung und Förderung der Fachstelle für Suchtprävention.
Cannabis auf Rezept ist endlich legal und der Cannabisanbau zu medizinischen Zwecken lizenziert
möglich. Das Land Berlin soll die Möglichkeiten prüfen, ob und wie ein landeseigenes Unternehmen
den Anbau und die Produktion von medizinischem Cannabis in Berlin umsetzen kann. Mit der
bundesgesetzlichen Regelung ist der Zugang zu Cannabis als Medizin nicht für alle betroffenen
Patient*innen gewährleistet. Denn wenn ein Rezept vorliegt und die Krankenkasse die Kosten
übernimmt, sind Cannabisblüten in der Apotheke oftmals nicht erhältlich oder die benötigte
Cannabissorte nicht verfügbar. Lieferengpässe stehen der Versorgung von Cannabispatient*innen
immer noch im Weg. Ein landeseigenes Unternehmen in Kooperation mit Wissenschaft, Forschung
und Industrie könnte einen Beitrag dazu leisten, die Versorgung mit medizinischem Cannabis zu
verbessern und weiterzuentwickeln. Der landeseigene Cannabisanbau kann – über die Versorgung
von Cannabispatient*innen hinaus – auch die Belieferung wissenschaftlich begleiteter Modellprojekte
in Deutschland mit Cannabis vereinfachen.
Die Umsetzung eines Cannabismodellprojekts ist der erste wichtige Schritt, um Erkenntnisse über die
regulierte Abgabe von Cannabis an erwachsene Konsumierende zu sammeln. Neben Berlin
interessieren sich weitere Städte für Cannabismodellprojekte. Akteur*innen, Wissen und Erfahrungen
sollen in einem Cannabis-Städte-Netzwerk gebündelt werden. Städteübergreifende und
wissenschaftlich begleitete Projekte können den Erkenntnisgewinn potenzieren und auch kollektive
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Projekte im ländlichen Raum ermöglichen. Für uns Grüne steht aber fest: Langfristig muss der
Cannabismarkt bundesweit reguliert und Konsumierende entkriminalisiert werden. Deshalb muss
sich das Land Berlin mit einer Bundesratsinitiative für die Einführung eines Cannabiskontrollgesetzes
einsetzen.
Die gescheiterte Cannabispolitik ist jedoch nur ein Beispiel für die verfehlte Drogenpolitik in
Deutschland. Das Betäubungsmittelrecht muss dringend auf den Prüfstand. Das Land Berlin muss
dazu eine Bundesratsinitiative zur Evaluation der beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen
des Betäubungsmittelrechts anstoßen. Wir wollen das Betäubungsmittelrecht dahingehend
weiterentwickeln, dass es eine evidenzbasierte Drogenpolitik in Deutschland etabliert, die nicht
länger von ideologischen Stoppschildern aufgehalten wird.
Suchtprävention muss gleichermaßen bei legalen Drogen ansetzen. Tabak und Alkohol sind die am
meisten konsumierten Drogen und können schwere gesundheitliche Schäden verursachen.
Prävention und Aufklärung müssen auch für legale Substanzen gestärkt werden. Wir fordern eine
Landesstrategie zur Prävention und Reduzierung von Tabakkonsum und riskantem Alkoholkonsum.
Ziel ist es, ein Maßnahmenpaket zu schnüren, dass über gesundheitliche Risiken aufklärt, den
Konsum legaler Drogen in Berlin reduziert sowie Kinder und Jugendliche wirksam vor den Schäden
durch Tabak und Alkohol schützt. Darüber hinaus müssen auch stoffungebundene
Suchterkrankungen wie die Glücksspielsucht und Mediensucht in den Fokus gerückt werden. Dazu
braucht es eine Strategie zur Verhütung von Spiel- und Mediensucht, die frühzeitig über die Risiken
der Spielsucht aufklärt, aber auch einen gesunden Umgang mit Medien trainiert. Alle
Präventionsstrategien müssen einen Maßnahmenmix beinhalten, der Verhaltens- und
Verhältnisprävention gleichermaßen berücksichtigt. Das Land Berlin soll prüfen, inwiefern ein
Lizenzierungssystem für Raucherbars dazu beitragen kann, den Nichtraucherschutz in Berlin zu
stärken. Gemeinsam mit den Bezirken soll die Verdrängung von Tabak-, Alkohol- und
Glücksspielwerbung vorangetrieben werden. Wir unterstützen die Abschaffung aller Werbeformen
für Tabak, Alkohol und Glücksspiel im Rahmen einer bundesgesetzlichen Regelung.
Arzneimittelabhängigkeit bleibt oft unerkannt. Viele Betroffene sind sich ihrer Suchterkrankung
nicht bewusst, da sie das Medikament ursprünglich ärztlich verschrieben bekamen. Um auf die
Risiken der Suchterkrankung aufmerksam zu machen und der Tabuisierung entgegenzuwirken, soll
eine landesweite Aufklärungskampagne zur Arzneimittelabhängigkeit initiiert werden, die sich an
die Öffentlichkeit sowie an die Gesundheitsberufe richtet. Insbesondere ältere Menschen und Frauen
sind häufiger von einer Arzneimittelabhängigkeit betroffen. Das Wissenüber
Arzneimittelabhängigkeit bei Menschen über 65 Jahren ist jedoch gering. Eine Studie über das
Ausmaß der Arzneimittelabhängigkeit im höheren Alter – auch in Hinblick auf den wachsenden
Anteil dieser Bevölkerungsgruppe – ist daher dringend notwendig.
Gefängnismauern sind keine Prävention gegen Drogenkonsum. Auch in Haftanstalten werden
Drogen hineingeschmuggelt und konsumiert. Inhaftierte Menschen leiden mitunter an einer
Abhängigkeitserkrankung, nicht selten müssen sie eine Haftstrafe aufgrund von Beschaffungskriminalität
absitzen. Um die gesundheitliche Versorgung von Menschen in Haft langfristig in den
Fokus zu rücken und nachhaltig zu verbessern, soll ein Runder Tisch zur Verbesserung der gesund-
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heitlichen Versorgung von drogenkonsumierenden Menschen und Menschen mit Suchterkrankungen
in Haftanstalten eingesetzt werden. Ziel dieser Arbeitsgruppe unter Beteiligung aller relevanten
Akteur*innen des Justizvollzugs, der Suchtprävention und -hilfe sowie Sozialhilfe und Wissenschaftler*
innen ist es, Empfehlungen zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von
drogenkonsumierenden Menschen und denen mit Abhängigkeitserkrankungen in Haft auszuarbeiten.
Diese Empfehlungen beziehen sich insbesondere auf die Behandlung von Suchterkrankungen,
Behandlung und Prävention von HIV- und Hepatitis-Infektionen, Zugang zu suchtmedizinischen
Fachärzt*innen sowie Diamorphin-Therapie und die lückenlose Sicherstellung des
Krankenversicherungsschutzes nach Haftentlassung.
Statt auf eine drogenfreie Welt zu setzen, muss es das Ziel sein, Schäden durch Drogen bestmöglich
zu reduzieren. Drogenkonsumräume sind lebensrettend. Deshalb müssen bedarfsgerecht neue
Drogenkonsumräume entstehen, aber auch die bestehenden Konsumräumen müssen erhalten, ihre
Öffnungszeiten erweitert und das Personal aufgestockt werden. Die Mitarbeitenden der
Drogenkonsumräume leisten nicht nur schnelle medizinische Hilfe bei unbeabsichtigter
Überdosierung, sondern bauen auch soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung von Konsumierenden
und Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen ab. Konsumräume sind ein notwendiger Rückzugsort
für Konsumierende, aber auch ein leicht zugängliches Hilfsangebot, das an medizinische und
therapeutische Einrichtungen sowie an die Wohnungslosenhilfe weitervermittelt. Beschäftigungsangebote
für Menschen mit Suchterkrankungen ermöglichen betroffenen Personen ihren Alltag zu
strukturieren, und müssen daher dringend gefördert werden.
Drogen werden dennoch auch an öffentlichen Orten konsumiert. Benutzte Spritzen, die an
öffentlichen Plätzen herumliegen, sind ein Sicherheitsrisiko und haben bereits zu vermeidbaren
Stichverletzungen geführt. Daher sind Spritzenentsorgungskanister gemeinsam mit den Bezirken an
Orten aufzustellen, wo Drogen injiziert werden, um Verletzungsgefahren bestmöglich zu vermeiden.
Substitutionstherapie und Diamorphinbehandlung haben maßgeblich dazu beigetragen, Menschen
mit Opiatabhängigkeitserkrankungen gesundheitlich und sozial zu stabilisieren. Deswegen muss
sichergestellt werden, dass jegliche Kriminalisierung von Suchtmediziner*innen ausgeschlossen wird
und der Zugang zu einer Substitutionsbehandlung in Berlin bedarfsgerecht gewährleistet ist. Die
Einrichtung einer weiteren Diamorphinpraxis ist für eine gute suchtmedizinische Versorgung in
Berlin wichtig.
Der Einsatz von Naloxon kann einer unbeabsichtigten Opiatvergiftung entgegenwirken. Wir wollen
ein Naloxonprojekt in Berlin etablieren, das den Einsatz von Naloxon fördert und dazu beiträgt,
Drogentote in reduzieren. Dazu sollen Menschen, die Opiate konsumieren, sowie ihre Angehörigen in
der Anwendung von Naloxon geschult werden. Dazu muss sichergestellt sein, dass alle Stellen, die
mit suchtkranken Menschen arbeiten, über kundiges Personal verfügen. Dies betrifft
Drogenkonsumräume, Therapieeinrichtungen und Präventions- und Suchtberatungsstellen sowie
Gefängnisse. Im Rahmen einer landesweiten Kampagne sollen Ärzt*innen, Apotheker*innen und
Betroffene für die Naloxonverschreibung sensibilisiert und über die Bedeutung dieser
schadensmindernden Maßnahme aufgeklärt werden. Ziel soll es sein, das alle Betroffenen mit
Naloxon ausgestattet sind, um dieses im Falle einer Überdosierung verabreichen zu können.
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Menschen, die Drogen konsumieren möchten, ist es nicht egal, was sie konsumieren. Drug-Checking
– die Analyse von Substanzen auf ihre Wirkstoffe und Zusammensetzung – in Verbindung mit
Drogenaufklärung ist eine wirksame Maßnahme, um Drogenschäden zu reduzieren. Drug-Checking
stärkt den gesundheitlichen Verbraucherschutz von Konsumierenden und erlaubt eine informierte
Entscheidung über Konsum oder Konsumverzicht. Wir wollen die finanzielle Förderung von Drug-
Checking-Projekten ausbauen. Unser Ziel ist es, dass neben der ausreichenden Finanzierung des
Drug-Checkings in Einrichtungen der Drogenhilfe, auch der Projektausbau durch mobile Drug-
Checking-Angebote ermöglicht wird. Darüber hinaus muss auch die finanzielle Förderung von
Präventions- und Aufklärungsangeboten im Party-Setting ausgebaut und verstetigt werden.
Alle Mütter und Väter wollen gute Eltern sein. Auch Menschen mit problematischem
Suchtmittelkonsum oder Abhängigkeitserkrankungen sorgen sich um ihre Kinder und möchten ihnen
das zukommen lassen, was sie brauchen, um gut und gesund aufzuwachsen. Die Suchterkrankung
wirkt sich jedoch nicht nur auf die betroffene Person aus, sondern auch auf das gesamte
Familienleben. In Familien mit Suchterfahrungen erleben Kinder häufig Streit, aber auch psychische
und körperliche Gewalt. Für Kinder von suchterkrankten Eltern ist es wichtig, sich an sichere
Bezugspersonen wenden zu können, die sie und ihre Eltern in schwierigen Situationen unterstützen.
Deshalb braucht es einen Ausbau von leicht zugänglichen Unterstützungsangeboten für Eltern mit
Suchterkrankungen. Akzeptierende Ansätze sind dabei zu fördern, die beispielsweise die
Punktnüchternheit des Elternteils stärken, aber auch Unterstützung bei der Kindeserziehung leisten
und suchttherapeutische Versorgung für die ganze Familie anbieten.
Die Fachstelle für Suchtprävention muss auch für die Zukunft gut aufgestellt werden und mit ihren
Aufgaben wachsen. Wir setzen uns für eine Weiterentwicklung und Förderung der Fachstelle für
Suchtprävention ein, um Suchtprävention in Berlin stärker zu machen. Daher soll eine dauerhafte
institutionelle Förderung der Fachstelle für Suchtprävention durch das Land Berlin geprüft werden.
Information und Aufklärung setzt nicht nur bei (potenziellen) Konsumierenden, sondern auch bei
Kindern und Jugendlichen, Eltern, Angehörigen der Gesundheits- und Sozialberufe oder der Polizei
an. Insbesondere Kinder und Jugendliche müssen verstärkt in den Bildungs- und Freizeitorten über
Konsum- und Suchtrisiken aufgeklärt werden. Dazu gehört es auch, Kindern und Jugendlichen
Kompetenzen zu vermitteln, die dazu beitragen, schwierige Lebensphasen zu meistern und die
sogenannte Resilienz zu erhöhen. Darüber hinaus ist die Koordination von suchtpräventiven
Maßnahmen wichtig, um in Berlin ein dichtes Netz an passgenauen und wirksamen Angeboten für
alle Zielgruppen und in verschiedenen Lebenswelten sicherzustellen.
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