Versammlungsfreiheit und gesellschaftlicher Frieden
Die Eskalation des Nahost-Konflikts können wir gerade hier in Berlin nicht ausblenden. Als Hauptstadt Deutschlands, in der einst der Holocaust geplant und gesteuert wurde, tragen wir besondere Verantwortung. Der Schutz jüdischen Lebens, der Kampf gegen Antisemitismus und das Existenzrecht Israels sind für uns nicht verhandelbar. Es muss allen Menschen, die hier leben klar sein, dass das für uns rote Linien sind. Ebenso wie das Recht Israels, sich im gegebenen Rahmen des Völkerrechts gegen Terrorismus, Verschleppung und Gewalt selbst verteidigen zu dürfen. Der Terror der Hamas muss enden.
In Berlin leben viele Menschen, die Angehörige und Freunde in der Region haben – in Israel und im Gazastreifen – und die in Sorge und großer Unruhe sind oder die jetzt um Tote trauern. Die Hamas bringt mit ihren Verbündeten großes Leid über die Menschen. Unser Mitgefühl gilt ihnen allen.
Wir sind in großer Sorge um den gesellschaftlichen Frieden hier bei uns. Antisemitismus ist bis heute in vielen Köpfen tief verankert. Wir werden ihm in all seinen Formen und Facetten entgegentreten. Die Eskalation im Nahostkonflikt ruft all diejenigen hervor, die aufstacheln und spalten wollen, ob rechts oder links, muslimisch oder nationalistisch, alt oder neu, auf der Straße oder im Netz. Dem entgegenzuwirken ist eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe!
Gesellschaftlicher Frieden lässt sich nicht von oben verordnen oder durch Gewalt erzwingen. Die Stärke der Demokratie ist das Zulassen von Aushandlungsprozessen, gerade durch das Zulassen von Zweifeln, Ängsten, Sorgen und Nöten. Das gilt in der Schule wie auch auf der Straße. Gerade jetzt braucht es Räume, um Aufklärung zu leisten und sowohl über klare Grundwerte zu sprechen als auch unterschiedliche Perspektiven auf den Nahostkonflikt, die uns täglich durch Medien und Social Media erreichen. Es sind schwierige Gespräche, aber sie müssen sein. Damit Schulen damit nicht allein gelassen sind, braucht es unverzüglich und auch dauerhaft eine verlässliche Finanzierung der Demokratieförderung. Berlin hat zum Glück breit aufgestellte zivilgesellschaftliche Projekte, die gegen Antisemitismus und Rassismus unverzichtbare Arbeit leisten.
Wir haben in Berlin eine große palästinensische Community. Viele von ihnen sind seit Jahrzehnten hier, sind hier geboren, sie sind Teil unserer Gesellschaft. Die meisten von ihnen haben kein Verständnis für die Glorifizierung des Hamas-Terrors. Sie wollen nicht, dass Samidoun, Hisbollah oder Hamas sie für ihren antisemitischen Kampf vereinnahmen. Wir haben großen Respekt für alle, denen es in dieser schwierigen Situation gelingt, Worte der Vernunft und des Ausgleichs zu finden.
Viele suchen aber auch nach Möglichkeiten, ihrer Trauer und ihrer Angst um Angehörige und um die Zukunft der Menschen in der Region Ausdruck zu verleihen. Das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut, die Grenzen der Meinungsfreiheit sind auch aus unserer historischen Erfahrung weit gefasst.
In den letzten Tagen gab es mehrere Demonstrationen, die weitestgehend friedlich Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung gezeigt haben. Die Demokratie zeichnet aus, dass sie freie Meinungsäußerung zulässt. Teilen müssen wir diese Meinungen nicht.
Pauschale Versammlungsverbote kann es grundsätzlich nicht geben. Wir halten es jedoch für richtig, Demos zu untersagen, wenn es schon im Vorfeld konkrete Hinweise darauf gibt, dass Veranstalter*innen oder Teilnehmer*innen zu Straftaten aufrufen oder welche begehen werden. Dasselbe gilt, wenn vor Ort Straftaten festgestellt werden, oder wenn eine ursprünglich friedliche Demo gekapert wird, um Terror zu verherrlichen oder antisemitische Parolen zu rufen.
Wo die Versammlungsfreiheit missbraucht wird, um Antisemitismus hoffähig zu machen, da wird zu Recht eingeschritten. Das Gebot der Stunde lautet Deeskalation!
Wo die Grenzen der Meinungsfreiheit übertreten werden, wo Straftaten begangen werden, da greift die Polizei ein, so besonnen wie konsequent.
Wer aber Antisemitismus jetzt als bloßes „Importproblem“ kleinredet, der zündelt. Das ist verantwortungslos und geschichtsvergessen. Wir stehen an der Seite all derjenigen, die gerade jetzt für Verständigung eintreten und die klar auf dem Boden der Grundwerte stehen, die ein friedliches Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft erst ermöglichen.