Beschluss: Wachsendes Grün für die wachsende Stadt – Berlin braucht eine Grünbauoffensive
Auf unserer Sommerklausur in Prag haben wir am 2. August 2019 folgenden Beschluss gefasst. (PDF)
Das Berliner Wetter schreibt aktuell traurige Rekorde. 2018 war das heißeste und trockenste Jahr seit der Wetteraufzeichnung. Und gleichzeitig haben sich die Unwetterwarnungen, Gewitter und Starkregen-Ereignisse gehäuft. Der Klimawandel wird Realität. Das verrückte Wetter ist nur ein Vorgeschmack auf das, was uns blüht, wenn wir den CO2-Ausstoss nicht in den Griff bekommen und sich der Planet noch weiter erhitzt. Das Wetter zeigt aber auch, wie wichtig und lebensnotwendig grüne Oasen sind und wie gefährlich Betonwüsten für Mensch und Natur werden können. Auf versiegelten Flächen fallen Sommer-Temperaturen noch höher aus und es droht verstärkt Überschwemmungsgefahr. Ein gesundes, vielfältiges Stadtgrün ist deshalb der Schlüssel für eine lebenswerte Stadt. Grün gehört – genau wie die Verkehrsinfrastruktur, Schulen oder Krankenhäuser – zur öffentlichen Grundversorgung einer modernen Metropole.
Berlin braucht seine reiche Stadtnatur. Sie schafft nicht nur eine höhere Lebensqualität, sondern leistet auch einen realen Beitrag zum Klimaschutz. Noch kann kaum eine andere Großstadt weltweit so viel Grün aufweisen wie Berlin. Über 430.000 Straßenbäume, 2.500 öffentliche Grünanlagen mit insgesamt rund 6.500 Hektar und etliche Wälder, welche ein Fünftel an Berlins Gesamtfläche ausmachen, prägen das Bild der Stadt.
Allerdings steht das Berliner Stadtgrün – unsere Parks und Straßenbäume, Ufer und Wälder – unter enormem Druck. Dürre und Hitze setzen der Natur zu und lassen dem Menschen kaum Raum zur Abkühlung. Die wachsende Stadt wittert hinter jeder unbebauten Fläche Nachverdichtungspotenzial; hier ist eine kluge Stadtentwicklung gefragt, die flächensparend baut und gleichzeitig ökologische Freiräume sichert. Das Tempelhofer Feld oder die Brache am Westkreuz sind auch wichtige Frischluftschneisen für die Stadt, Naherholungsorte für die Berlinerinnen und Berliner sowie Heimat unzähliger Arten: Ein Gewinn für die ganze Stadt. Aber auch eine Frage der Gerechtigkeit: Geringverdiener haben häufig ein Lebensumfeld mit weniger Stadtgrün, Parks oder Wasser. Dabei ist es ein wesentlicher Beitrag zur Umweltgerechtigkeit, wenn mehr Menschen eine gesunde Umwelt in der Nähe finden. Das ist auch gut für den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft: Denn wie fast nirgendwo sonst im Berliner Alltag begegnen sich im Grünen Menschen aller Kulturen, Milieus und Generationen der Stadt.
Berlin muss wieder grüne Spitze in Deutschland werden. Um dieses Ziel zu erreichen braucht Berlin eine Grünbauoffensive. In einem Dreiklang aus Flächensicherung, Stärkung des Stadtgrüns und strategischem Ankauf wollen wir unsere Stadt ergrünen lassen. Wir haben deshalb schon im aktuellen Doppelhaushalt die entsprechenden Geldmittel massiv erhöht: zum Beispiel für Straßenbäume, für die Sanierung von Grünanlagen, für das Mischwaldprogramm und für den strategischen Ankauf von Grünflächen. Die rot-rot-grüne Koalition hat das „Jahrzehnt der Investitionen“ ausgerufen, um die Berliner Infrastruktur wieder fit zu machen. Dazu gehört für uns Grüne die “grüne Infrastruktur” wesentlich dazu. Daher wollen wir eine Grünbauoffensive!
Ob 1.000 grüne Dächer, ein besseres Regenwassermanagement, das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK) oder die Bienen- und Bestäuberstrategie: All diese Maßnahmen sind angesichts des Klimanotstands und seiner Folgen für die Stadtgesellschaft wichtiger denn je. Weil Berlin wächst und die Klimakrise voranschreitet, muss auch das Berliner Grün wachsen. Deshalb wollen wir diese grünen Projekte verstetigen und ausbauen.
Charta Stadtgrün: Berliner Konsens für die Stärkung von Stadtgrün und Stadtnatur
Das Berliner Stadtgrün gehört für uns zur öffentlichen Infrastruktur, die für alle Berlinerinnen und Berliner erhalten und in die investiert werden muss. Es braucht eine koordinierte Gesamtstrategie, um zu identifizieren, an welchen Stellen Grün gestärkt, gesichert und neu gewonnen werden muss. Deshalb hat die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz die Erstellung einer Charta für das Berliner Stadtgrün angestoßen. Diese Charta fixiert die programmatischen Leitlinien für den Schutz und die Weiterentwicklung von Berlins grüner Infrastruktur. Sie wurde in einem kooperativen und partizipativen Prozess mit der Zivilgesellschaft gemeinsam entwickelt. Berlins Einwohner*innen waren dazu aufgerufen, sich online zu beteiligen. Bis Ende 2019 soll die Charta ausgearbeitet sein und Senat und Bezirken zur Beschlussfassung, zusammen mit einem Handlungsprogramm, vorliegen. Die Charta fokussiert dabei drei strategische Säulen: Erstens das Stadtgrün insgesamt zu erhalten und auszuweiten, zweitens den veränderten Nutzungsanforderungen und damit auch insbesondere den Klimaveränderungen Rechnung zu tragen, und drittens die Vielfalt, Qualität und Pflege des städtischen Grüns abzusichern.
Mit der Charta wird das Berliner Stadtgrün ein integraler Bestandteil der Stadtentwicklung als Ganzes und damit quasi eine Art Stadtentwicklungsplan (StEp) Grüne Infrastruktur. Denn wir brauchen einen Überblick über den Zustand unseres Stadtgrüns, um zu wissen, wo Sanierungsmittel in die Hand genommen werden müssen und wo angekauft werden muss. Sie soll die Grundlage für den Umgang mit dem Berliner Grün darstellen und wird mit einem Handlungsprogramm unterlegt sein. Sie muss gleichzeitig die Grundlage dafür sein, das vorhandene und das neu geschaffene Stadtgrün planungsrechtlich zu sichern – sei es über Bebauungspläne oder Flächennutzungsplan-Änderungsverfahren. Das Grün in Berlin darf nicht zum Spielball anderer Interessen werden, sondern muss als essentieller Bestandteil der Daseinsvorsorge in ganz Berlin rechtlich und baulich gesichert werden.
Wie wir Berlin ergrünen lassen
Grüne Politik denkt einen Schritt voraus: Die Prinzipien und Leitlinien aus der Charta müssen sich zukünftig in handfester Politik niederschlagen. Für uns ist entscheidend, dass die Straßen- und Grünflächenämter in allen zwölf Bezirken ebenso wie die Umweltverwaltung finanziell und personell gestärkt werden. Folgende konkrete Maßnahmen halten wir für unabdingbar:
1) Stadtgrün sichern: Das Grundgerüst des Berliner Stadtgrüns muss erhalten bleiben
Grundvoraussetzung für eine grüne Stadt ist, dass die bestehenden Grünflächen erhalten und besser geschützt werden. Um das Ziel zu erreichen, alle im Landschaftsprogramm geplanten Naturschutzgebiete bis 2030 auszuweisen, ist für die Vorbereitung, Durchführung und Begleitung dieser Verfahren auch das dafür notwendige, zusätzliche Personal bereitzustellen. Zudem wollen wir, dass grüne Infrastruktur genau wie Kitas, Schulen und Sportanlagen verbindlich in die sozialen Infrastrukturkonzepte der Bezirke mit aufgenommen werden und eine entsprechende Bestandsanalyse und Bedarfsprognose erstellt werden.
Die Koalitionsfraktionen haben sich auf die bestmögliche Sicherung von Kleingärten geeinigt, um diese ökologisch wie sozial so wichtigen Flächen zu erhalten. In einem ersten Schritt haben wir uns darauf geeinigt, Wohnungsbau auf öffentlichen Kleingartenflächen bis 2030 auszuschließen. Für uns Grüne ist dabei zentral, dass öffentliche und landeseigene Flächen so genutzt werden, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger an der Nutzung partizipieren können. Dafür werden wir einen Transformationsprozess in enger Abstimmung mit den Kleingartenverbänden einleiten. Diese müssen mehr Gemeinschaftsflächen bereitstellen, die gemeinsam von Nachbar*innen, Urban Garden Initiativen, Kitas und Schulen genutzt werden können. Einige Kleingartenvereine gehen hier bereits beispielhaft voran.
Auch die Berliner Wälder sind wichtige Orte der Erholung und zudem bedeutende CO2-Speicher unserer Stadt. Mischwälder sind in weit höherem Maße als (Kiefer-)Monokulturen in der Lage einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Auch für die Grundwasserbildung und damit die Trinkwasserversorgung unserer Stadt leisten sie einen existenziellen Beitrag. Daher wollen wir Berlins Wälder durch gezielte Aufforstung und eine Ausweitung des Mischwaldprogramms für die Klimakrise wappnen.
Geht jenseits von Schutzgebieten an einer Stelle grüner Freiraum verloren, ist es umso wichtiger, dass an anderer Stelle neue Grünflächen entstehen oder vorhandene qualifiziert werden. Wir wollen dafür ein eigenes „Ökokonto“ einrichten. Mittels dieses Ökokontos können Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zugunsten einer Aufwertung der großen Landschaftsräume erfolgen. Dabei sollen vorrangig die folgenden Räume entwickelt werden: Malchower Auenlandschaft, die Offenlandschaft der Blankenfelder Feldmark, die Elisabethaue, die Wald-Weide-Landschaft von Hobrechtsfelde, die Rieselfeldlandschaft Karolinenhöhe und Gatow, das Wuhletal und der Mauerstreifen Süd. Es ist aber auch darauf zu achten, dass im Umfeld des verlorengegangenen Freiraums eine ökologische Aufwertung oder ein Ausgleich stattfindet.
2) Stadtgrün ausweiten: Naturcent einführen und Ankauf forcieren
Viel zu viele ökologisch wertvolle Flächen sind in der Vergangenheit verschwunden. Durch den Klimanotstand und die weiterhin wachsende Stadt stehen die verbliebenen Orte unter besonderem Druck. Aus diesem Grund reicht es nicht aus, beim Status Quo zu bleiben; Berlin braucht eine Grünankaufstrategie. Bereits im SIWANA haben wir deshalb 10 Millionen Euro für einen strategischen Ankaufsfonds zur Verfügung gestellt und wollen bis zum Legislaturende mehr Mittel zur Verfügung stellen. Es gibt bereits erste Grundstücke, die angekauft wurden und einen wichtigen Beitrag für die Kühlung der Stadt, die Artenvielfalt und die Naherholung leisten. Damit ist das Berliner Stadtgrün in dieser Legislatur bereits gewachsen.
Damit das Grün auch in haushalterisch knapperen Zeiten mit der Stadt mitwachsen kann, wollen wir ein neues Finanzierungsinstrument prüfen: den „Naturcent“. Dazu soll ein Fonds „Naturschutz und Landschaftspflege“ eingerichtet werden, der sich aus einem Anteil an den Grundsteuereinnahmen speist, die durch die Ausweisung oder Neubebauung von Bauland anfallen. Der Naturcent fällt unabhängig von der Kompensationsstrategie an und kann gebündelt für die Schaffung neuen Grüns eingesetzt werden.
Gerade in baulich stark verdichteten Quartieren ohne viel Stadtgrün schnellt das Thermometer im Sommer hoch. Diese Hitzeinseln wollen wir abkühlen, indem wir aus grauer Infrastruktur eine Grüne machen. Durch die konsequente Entsiegelung von Schulhöfen und Parkplätzen kann Regenwasser besser versickern – ein wichtiger Baustein auf dem Weg Berlins zu einer Schwammstadt und effektiven Klimaanpassungsstrategie. Begrünte Fassaden, Innenhöfe und Dächer machen Stadtquartiere und Wohnen nicht nur schöner, sondern helfen durch die Speicherung von Feuchtigkeit und Reinigung der Luft auch dem Stadtklima. Auch bei der Neuaufteilung des öffentlichen (Verkehrs-)Raumes wollen wir mehr Grün: Mittelstreifen und Parkplätze sollten eher Heimat für Wildblumen sein, als Abstellfläche für Autos. Bushaltestellendächer können Nahrungsquellen für Wildbienen und andere Arten sein. Wir brauchen im Straßenland grüne Oasen statt grauer Verkehrsinseln. Dazu schlagen wir ein Hof- bzw. Siedlungsbegrünungs-Programm vor, das auch Synergien mit unserem 1.000 Grüne Dächer-Programm, dem BEK 2030 und dem neuen Regenwassermanagement ermöglicht.
3) Stadtgrün stärken: mehr Mittel für die bezirkliche Grünpflege
Gut gepflegte Parks, Spielplätze und Straßenbäume gibt es nur mit starken Bezirken. Wir haben deshalb in jeder der Haushaltsrunden mehr Geld in die bezirkliche Grünpflege gesteckt. Nun kommt es aber darauf an, auch die Finanzstrukturen so zu stärken, dass die Bezirke in der Lage sind, den Anforderungen, die eine intensivierte Nutzung der Grünflächen, klimakrisebedingte Schädigungen und ein oftmals schlechter Pflegezustand der Anlagen mit sich bringt, nachzukommen – finanziell und personell.
Wir fangen mit den Straßenbäumen an, denn hier wurde viel zu lange gekürzt bis es quietscht. Aktuell werden die anfallenden Kosten überhaupt nicht gedeckt. Unser Vorschlag ist, bereits im Doppelhaushalt 2020/21 je Straßenbaum im entsprechenden „Produkt“ ein Budget von jährlich 80 Euro zur Verfügung zu stellen, ohne diesen Aufwuchs an anderer Stelle im bezirklichen Budget einzusparen. Gleichzeitig sollen mit den Bezirken Zielvereinbarungen geschlossen werden, damit das Geld der Unterhaltung, der Pflege und der Neuanpflanzung von Stadtbäumen zugutekommt.
Die Bezirke sind als untere Verwaltungseinheit Berlins nahe an den Grünflächen Berlins dran. Deshalb sprechen wir uns dafür aus, dass die Bezirke gestärkt werden, um in den Parkanlagen eine angemessene und gute Pflege durchsetzen zu können. Dafür müssen die Produkte für Grünflächenpflege angehoben werden. Die Park- und Baumpflegemaßnahmen des „Handbuchs gute Pflege“ müssen darüber hinaus zu verbindlichen Standards für die bezirkliche Grünpflege werden. So soll eine gleichmäßig hohe Qualität der Pflegemaßnahmen berlinweit gewährleistet werden. Grundsätzlich sollen die Grünflächen weiterhin von den Bezirken gereinigt und gepflegt werden. Die dafür zur Verfügung stehenden Mittel müssen auskömmlich erhöht werden, denn Reinigung darf nicht zulasten der Pflege gehen.
In Zeiten des Klimanotstands muss auch die Grünpflege angepasst werden: Stürme, Dauerregen und Dürre haben verheerende Auswirkungen auf das Berliner Stadtgrün. Soforthilfe muss schnell und unbürokratisch zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund hat die Umweltverwaltung begonnen, vorsorgend finanzielle Mittel bereitzustellen, die von den Bezirken zur Bewältigung unvorhergesehener Klimaereignisse für das Berliner Stadtgrün zur auftragsweisen Bewirtschaftung abgerufen werden können. Diese Mittel dienen der unmittelbaren Folgenbeseitigung (Sofortmaßnahmen) und umfassen je nach Bedarf z. B. die zusätzliche Wässerung des öffentlichen Grüns zur Vermeidung von Trockenheitsschäden („Sommerdienst“) ebenso wie die – nicht nur verkehrliche – Sicherung nach Starkregen und Sturmereignissen. Die Mittel für diese Sofortmaßnahmen wollen wir im Haushalt verstetigen und ausbauen. Darüber hinaus schlagen wir ein Klimakatastrophenmanagement vor, bei dem Polizei, Feuerwehr und die bezirklichen Grünflächenämter Daten zu Sturm-, Hitze und Dürreschäden austauschen zwecks einer besseren Koordination der Katastrophen-
Maßnahmen.